Russland droht mit Atomwaffen – das ist davon zu halten
Quelle: TeleZüri
Die Aussagen warfen hohe Wellen: Putins Chefpropagandist Dmitri Kisseljow drohte im russischen Staatssender «Rossija1» mit atomaren Schlägen gegen Europa, insbesondere Grossbritannien.
Gedroht wird unter anderem mit einer neuartigen Waffe namens «Poseidon». Dabei handelt es sich um eine Unterwasserdrohne, die in den Tiefen des Meeres eine Atombombe zündet. Dies soll dann eine gewaltige radioaktive Flutwelle auslösen. Das hörte sich so an:
And another nuclear threat to the UK from Russian state TV's Dmitry Kiselyov:
— Francis Scarr (@francis_scarr) May 1, 2022
He says his country's Poseidon nuclear underwater drone could cause a tsunami that would "plunge the British Isles into the depths of the sea" and turn them into a "radioactive desert" (with subs) pic.twitter.com/usElgqHeIG
Gibt es überhaupt eine solche Waffe?
Auf dem Papier schon. Vor ein paar Jahren erwähnte der russische Präsident Wladimir Putin die «Poseidon»-Drohne in einer Rede zur Nation. Details dazu sind jedoch kaum bekannt. US-Geheimdienste gehen jedoch davon aus, dass die «Poseidon»-Drohne erst 2027 einsatzfähig ist.
Pavel Podvig vom Uno-Institut für Abrüstungsforschung in Genf hat auch seine Zweifel. Gegenüber «Blick» sagte er: «Kein Land verfügt über Waffen mit einer Sprengkraft von 100 Megatonnen. Und ich glaube auch, dass dieses System, wie es nun beschrieben wird, niemals Realität werden wird.»
Wie realistisch ist ein Atomangriff überhaupt?
Ein tatsächlicher nuklearer Schlagabtausch zwischen dem Westen und Russland ist hochgradig unwahrscheinlich, sagte der Waffensachverständige Lars Winkelsdorf gegenüber watson.ch. Grund dafür ist das sogenannte Gleichgewicht des Schreckens: Der Westen würde umgehend mit einem Atomschlag antworten. Die Folge: «Das würde zur Vernichtung Russlands führen, woran niemand in Moskau Interesse hat.»
Ältere Semester kennen dieses Säbelrasseln aus dem Kalten Krieg. Ein bewaffneter Konflikt würde zuerst mit konventionellen Mitteln geführt. Winkelsdorf: «Ein ‹Atomkrieg› stünde nicht am Anfang einer Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen. Solche Kernwaffen sind ‹ultima ratio.»
Und was ist mit einem Atomschlag gegen die Ukraine?
Politikwissenschaftler Frank Sauer ist Experte für nukleare Abschreckung. Im Interview mit der NZZ sagt er, dass man das Risiko eines atomaren Schlages ernst nehmen sollte, allerdings ohne es überzubewerten. Denn: Ein Einsatz nuklearer Waffen macht militärisch nur begrenzt Sinn. Bauer bilanziert:
Ein Einsatz solcher Waffen wäre im Grunde ein Ausdruck der Verzweiflung: «Sollte Putin nicht seinen Verstand verloren haben – und danach sieht es nicht aus –, gehe ich in der aktuellen Situation nicht davon aus, dass er Atomwaffen einsetzen wird.»
(jaw)