Wael Abdalwahab erwähnt als erstes das Essen: Falafel, Hummus und Shawarma. Die Frage war, woran er denkt, wenn er sich an Gaza erinnert. Es sei das Street Food, das er isst, wenn er mit seiner Familie in der Stadt unterwegs ist.
Sein Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen wohnen in Gaza Stadt im Gazastreifen. Sein Vater ist Palästinenser, seine Mutter Syrerin. Er selbst ist in der Schweiz geboren und wohnt mit seinen Eltern in Bern. Jeden Sommer, seit er ein kleines Kind ist, verbringt er mit seinem Vater in Gaza bei der Familie.
Über das Leben des 17-Jährigen hinweg gab es bisher mit der jetzigen fünf grosse Eskalationen des Kriegs zwischen Gaza und Israel. Bei einer davon war er selbst in der Stadt und steckte sieben Monate fest. Die momentane Eskalation sei aber die schlimmste bisher.
«Das Meer ist der Weg hinaus»
«Gaza ist ein wunderschöner Ort voller Hoffnung, auf Friede und auf Freiheit», sagt Wael beim Zurückdenken. Familie bedeute viel und verbinde, nicht nur Eltern und Geschwister, sondern auch Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen. Wael verbringt viel Zeit mit ihnen, wenn er sie besucht. «Wir gehen viel ans Meer, nicht unbedingt zum Schwimmen. Oft sitzen wir einfach in einem Restaurant, trinken Kaffee und schauen nach draussen. Das Meer ist für die Menschen in Gaza, so empfinde ich es, der Weg hinaus.»
Die Regierung im Gaza-Streifen
Israel kontrolliert Gazas Grenzen zu Israel. Das heisst, die israelische Regierung entscheidet, was an Materialien wie Wasser und Strom nach Gaza herein- und aus Gaza herauskommt – und auch, wer die Grenze überqueren darf. Beides ist stark eingeschränkt. «Gaza Stadt hat sich trotzdem immer weiterentwickelt», sagt Wael. Als er diesen Sommer dort gewesen sei, habe es zum Beispiel gerade neu eine Bowlingbahn gegeben, was er sich lange gewünscht hatte.
Intern wird der Gaza-Steifen seit 2007 von der Hamas regiert, welche die palästinensische Bevölkerung 2006 wählte. Nach Auseinandersetzungen mit der Partei Fatah übernahm diese mit der Palästinensischen Autonomiebehörde die Regierung des Westjordanlandes.
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Lange nicht alle Menschen in Gaza seien für die Hamas als Regierung, sagt Wael. «Aber das fragen Leute einander nicht, wenn sie sich auf der Strasse treffen oder flüchtig kennen. Es wird nicht ständig über Politik geredet.» Es habe allerdings schon gesehen, wie Menschen in Gaza offen für die Fatah als Regierung einstanden. «Es war eine Kundgebung auf der Strasse mit Tausenden von Leuten, manche hielten die Flagge der Fatah hoch», erzählt er. Die Kundgebung sei nicht von der Hamas beendet worden. «Den Leuten passierte nichts, niemand griff ein.» Auch sehe man immer wieder Läden, in denen die Fatah-Flagge im Schaufenster hängt.
«Die Hölle»
Weil er in Bern aufgewachsen sei, fühle er sich als Schweizer, sagt Wael. Trotzdem sei Gaza für ihn ein zweites Zuhause. «Jedes Mal, wenn wir von Ägypten her das Rafah-Crossing überqueren, bekomme ich Gänsehaut. Weil ich weiss, wie viel hier gekämpft wurde – für das Vaterland und für die Freiheit.»
Über 25’000 Tonnen Bomben hat Israel seit dem 7. Oktober über Gaza abgeworfen. Fast die Hälfte der Wohnhäuser ist zerstört oder beschädigt. Waels Onkel und Tante bekamen eine Warnung, dass ihr Haus bombardiert werden würde und flohen zu Verwandten. Sie sind seither nicht zurückgegangen, um zu sehen, ob es noch steht. Bei der Bombardierung des Al-Ahli-Krankenhauses am 16. Oktober wurden zwei von Waels Cousins getötet.
Wie sieht Wael Gaza jetzt? «Ein Ort ohne Hoffnung. Die Hölle», sagt er. All das, was die Stadt vorher gewesen sei, sei weg. Bei der Frage, ob er Gaza vermisst, schweigt Wael zuerst. «Ja», sagt er dann. «Ich vermisse Gaza, wie es vorher war.» Und wenn er zurückgehe, hoffe er, «dass die Restaurants, die ich mag, noch geöffnet sind.»