Solche Brillen werden unter anderem von Apple und Facebook erwartet - aber die Entwicklerfirma Snap überholte sie mit der Präsentation am Donnerstag. Die «Spectacles»-Brille blendet die virtuellen Objekte zugleich nur in einen eingeschränkten Teil des Blickfelds ein. Sie ist zunächst nur für von Snap ausgewählte Nutzer verfügbar und wird nicht zum Kauf angeboten.
Die Kombination aus digitalen Inhalten und der realen Welt ist bekannt unter der Bezeichnung erweiterte Realität (AR, Augmented Reality). Bisher wird die Technologie vor allem auf Smartphone-Bildschirmen genutzt, auch Apple baut seit Jahren darauf.
Nach Anfängen in Spass-Funktionen und digitaler Kunst werde AR immer mehr auch für geschäftliche Anwendungen eingesetzt, sagte Mitgründer und Chef Evan Spiegel der Nachrichtenagentur DPA. Aber voraussichtlich erst in den nächsten zehn Jahren werde man das volle Potenzial der Technologie mit AR-Brillen ausschöpfen können.
«Bisher nutzten wir AR auf einem kleinen Bildschirm, als würden wir auf die Welt durch eine Toilettenpapier-Hülse blicken. Wenn wir in der Zukunft ein viel weiteres Blickfeld haben und dabei unsere Hände frei benutzen können, wird das ganz neue Möglichkeiten schaffen.»
Stromverbrauch als Knacknuss
Die grösste Herausforderung bei der Entwicklung der AR-Brillen sei derzeit, die richtige Balance zwischen einem möglichst grossen Blickfeld für die digitalen Inhalte und dem Stromverbrauch sowie der Grösse der dafür erforderlichen Bauteile zu finden, sagte Spiegel. Aktuell reicht eine Batterieladung für rund 30 Minuten. «Die technologischen Einschränkungen der Hardware fordern heute eine Menge Kompromisse ab.» Daher dürfte noch ein Jahrzehnt vergehen, bis die Brillen von Verbrauchern breit genutzt werden, schätzte Spiegel.
Die Brille von Snap wiegt 134 Gramm und hat mehrere Kameras, Mikrofone und Lautsprecher. Sie ist deutlich leichter und kompakter als die Hololens-Brille von Microsoft, die der Software-Konzern für Unternehmen anbietet. Ein weiterer Vorreiter war das Start-up Magic Leap, das hunderte Millionen Dollar für die Entwicklung eines High-Tech-Headsets ausgab, das so viel Rechenleistung benötigt, dass man einen kleinen Computer am Gürtel tragen muss.
«Alle anderen Produkte sehen wie ein Helm aus», sagte Spiegel der «Financial Times». «Ich denke nicht, dass jemand erwartet hat, dass wir so weit sein würden.»
Direkt ins Auge projiziert
Auf der Technik-Messe CES stellte Anfang 2020 auch der deutsche Technologiekonzern Bosch den Prototypen einer leichten und schlanken AR-Brille vor, in der man zum Beispiel Routen-Anweisungen oder Chat-Nachrichten angezeigt werden können. Die Bilder werden dabei direkt ins Auge projiziert.
Bosch wurde in der Branche als ein möglicher Zulieferer von Apple gehandelt - während der iPhone-Konzern selbst wie gewohnt nicht einmal die Arbeit an einer Brille bestätigt. Zuletzt wurde aber spekuliert, Apple könne Anfang Juni bei seiner Entwicklerkonferenz WWDC einen Ausblick auf das Gerät geben.
Spiegel betonte, der Wettbewerb mit den Tech-Schwergewichten schrecke ihn nicht. «Wir werden schon seit der Gründung vor zehn Jahren danach gefragt - und unsere Strategie war immer, sich auf unsere Nutzer zu fokussieren.» Die «Spectacles»-Brille ist aktuell vor allem dafür gedacht, dass Snapchat-Nutzer bis zu zehn Sekunden lange Videos mit coolen digitalen Effekten erstellen können. Das lässt also ein breites Feld für andere Anwendungsszenarien.
Zugleich ist Snapchat selbst nicht gerade klein. Die App hat 500 Millionen mindestens einmal im Monat aktive Nutzer, täglich greifen 280 Millionen auf sie zu. Und Snap will eine zentrale Schnittstelle zwischen der realen Welt und virtuellen Inhalten sein.
Funktionen zum Anprobieren von Mode
Bei einem Online-Event am Donnerstag stellte die Firma unter anderem verbesserte Funktionen zum Anprobieren von Modeartikeln wie Taschen, Sonnenbrillen und Anziehsachen sowie Kosmetik in der App vor. In der Corona-Pandemie wurde Snapchat dafür deutlich häufiger genutzt. Das trieb auch den Umsatz der Firma an.
Neu ist zum Beispiel, dass die Grösse der anprobierten Gegenstände viel präziser angezeigt werden soll. Auch können künftig mehrere Nutzer gleichzeitig mit einem digitalen Objekt interagieren. Snapchat demonstrierte die Funktion am Beispiel eines virtuellen Lego-Autos, das mehrere Leute von unterschiedlichen Orten aus zusammenbauen können.
Weiterentwickelt wird auch die Karte in der Snap-App, mit der digitale Inhalte mit konkreten Orten verbunden werden können. Man wird sich künftig zum Beispiel eigene Snap-Bilder auf der Karte anzeigen lassen - oder Restaurant und anstehende Konzerte, für die man Tickets gleich in der App kaufen kann. Auf die Karte greifen aktuell 250 Millionen Snapchat-Nutzer zu.
Einen prominenteren Platz in der App bekommt nun auch die «Scan»-Funktion, bei der man die Kamera auf Gegenstände richtet, um Informationen oder Empfehlungen zu erhalten. Über Verknüpfungen mit anderen Diensten werden zum Beispiel Kochrezepte angezeigt, wenn eine Avocado vor dem Objektiv ist.