Warum die Region so lange recht glimpflich durch die Pandemie kam, ist nicht völlig geklärt. Manche sagen, die schnellen Grenzschliessungen Anfang 2020 hätten geholfen. Andere meinen, das schwül-heisse Klima habe Sars-CoV-2 im Zaum gehalten. Wieder andere nennen die Selbstverständlichkeit, mit der die meisten Asiaten allerorts eine Maske tragen, als Grund.
Fakt ist, dass immer mehr asiatische Nationen in strikte Lockdowns gehen müssen, während sich Europa gerade wieder öffnet. Dabei wollten Länder wie Malaysia und Thailand dies aus Angst vor dem wirtschaftlichen Kollaps eigentlich um fast jeden Preis vermeiden.
Das aufstrebende Schwellenland Malaysia ist seit dem 1. Juni nach tagelangen Rekord-Infektionen mit mehr als 7000 Fällen pro Tag im «totalen Lockdown». Sogar die meisten Unternehmen mussten schliessen. Das Gesundheitsministerium glaubt, dass die Feiern zum Ende des Ramadan in dem muslimischen Land mitverantwortlich für die Krise sind. Allerdings verzeichnete das Königreich bereits in den Wochen davor steigende Zahlen. Zuletzt warnte der Generaldirektor des Gesundheitsministeriums, Noor Hisham Abdullah: «Die Malaysier müssen sich auf das Schlimmste vorbereiten.» Die täglichen Zahlen folgten einem exponentiellen Trend.
Andere Teile Asiens, wie etwa die Mongolei, erleben ebenfalls ihre bisher schlimmsten Ausbrüche. Weil die Nation zwischen China und Russland ihre Grenzen sofort rigoros abriegelte, gab es über Monate überhaupt keine Infektionen. Der erste lokale Corona-Fall wurde erst im November des vergangenen Jahres gemeldet. Dann ging es schnell nach oben mit den Zahlen. Zuletzt lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei 170. Auch die Inselrepublik Taiwan bemüht sich, die steigenden Fallzahlen unter Kontrolle zu halten. Derzeit sind das täglich einige Hundert. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass Taiwan 2020 für 250 Tage überhaupt keine neuen Infektionen gemeldet hatte.
Auch in einigen Ländern Südostasiens, darunter Vietnam, Kambodscha und Laos, sind die Infektionszahlen vergleichsweise viel niedriger als etwa in Europa, wo bereits gejubelt und gelockert wird. Obwohl Vietnam (96 Millionen Einwohner) derzeit nur ein paar Hundert neue Fälle am Tag meldet, schrillen alle Alarmglocken - denn die Steigerung im Vergleich zu den vergangenen Monaten ist auch hier beachtlich. Die Situation im Land sei «komplex und komplizierter als im vergangenen Jahr» - und das, obwohl die Behörden in Hanoi einen «exzellenten Job» gemacht hätten, sagte der WHO-Vertreter in Vietnam, Kidong Park, der Deutschen Presse-Agentur.
Die Ursache des Ausbruchs liess sich ziemlich genau ausmachen: Im Fall von Vietnam waren ein 27-Jähriger, der aus Japan zurückgekehrt war, und ein eingereister Chinese nach der Quarantänezeit positiv auf das Virus getestet worden. Da hatten sie schon mehrere Leute angesteckt. In Kambodscha sollen vier Chinesen, die Anfang Februar von Dubai nach Phnom Phenh geflogen waren, durch Bestechung eines Sicherheitsbeamten ihre Quarantäne gebrochen und ausgiebig in Clubs gefeiert haben. Zwei hatten Corona, einer brachte die hochansteckende Variante «Alpha», die zuerst in Grossbritannien entdeckt wurde, ins Land.
Die Ausbreitung war rasant und führte nach Angaben der Zeitung «Khmer Times» nicht nur zu «Chaos und Panik», sondern auch zum Lockdown in sechs Provinzen. Der ausgeklügelte Party-Plan der Chinesen habe «13 Monate voller Opfer und harter Arbeit, um die Covid-Situation erfolgreich einzudämmen, zunichte gemacht», schrieb das Blatt wütend.
Denn mit den Virus-Mutationen ist nicht zu spassen. Die vietnamesische Regierung hatte erst kürzlich gemeldet, dass im Land eine neue Variante entdeckt worden sei - eine Kreuzung aus «Alpha» und «Delta» (die zuerst in Indien nachgewiesen wurde), so glaubte man. WHO-Experte Kidong Park betonte aber jetzt, was als neue Mischvariante ausgemacht worden sei, gehöre zu «Delta».
Hochansteckende Mutanten sind derweil nicht der einzige Grund für die steigenden Zahlen: «Hauptfaktor ist eine Kombination aus den leichter übertragbaren Varianten und dem fehlenden Zugang zu Impfstoffen», meint Todd Pollack, Spezialist für Infektionskrankheiten an der Harvard Medical School.
Denn bei der weltweiten Verteilung der Vakzine bestehe nach wie vor ein grosses Ungleichgewicht, auch wenn erhebliche Fortschritte erzielt worden seien, so ein WHO-Experte gegenüber der dpa. «Mehr als 75 Prozent aller Impfstoffe wurden in nur zehn Ländern verabreicht», rechnete er vor. «Es ist entscheidend, dass wir uns auf eine gerechte Verteilung konzentrieren, damit alle Länder Zugang zu Impfstoffen haben, nicht nur die wohlhabenderen Staaten.»
Letztere müssten ärmere Nationen unterstützen und sicherstellen, dass besonders gefährdete Gruppen überall auf dem Planeten so schnell wie möglich geschützt würden. «Denn bis alle Länder sicher sind, wird kein Land sicher sein», ist er überzeugt.
Etwa in Vietnam, wo 13 Million Menschen mehr leben als in Deutschland, bekamen bis zum 30. Mai nur eine Million Einwohner eine Impfung. Und im Urlaubsparadies Thailand wurden trotz einer heftigen Welle, die auch die Inhaftierten in den Gefängnissen in Massen ereilt hat, erst 1,1 Millionen der 69 Millionen Menschen vollständig geimpft. Immerhin: Die Insel Phuket, die ab dem 1. Juli geimpften Reisenden einen quarantänefreien Urlaub ermöglichen will, prescht voran: Hier erhielt bereits mehr als die Hälfte der Bevölkerung ihr Vakzin, bis zum Start der Modellregion sollen es 70 Prozent sein.