Crash

Bei Rot über die Kreuzung - Militärpolizist nach Blaulichtfahrt verurteilt

20.11.2022, 21:00 Uhr
· Online seit 20.11.2022, 15:14 Uhr
In Dübendorf krachte am Abend des 21. Januar 2021 ein Einsatzfahrzeug der Militärpolizei in ein VBZ-Tram. Nun sprach das Militärgericht 2 den Fahrer schuldig. Der Hauptvorwurf: Er hätte vorsichtiger über die Kreuzung fahren müssen.
Benno Kälin

Quelle: TeleZüri

Anzeige

Die Unfallstelle in der Nähe des Bahnhofs Stettbach zeigte ein Bild der Verwüstung. Der Einsatzwagen der Militärpolizei erlitt Totalschaden. Das Tram wurde seitlich aufgeschlitzt. Laut den Richtern entstand ein Schaden von über 400'000 Franken.

Das Gericht folgte im Wesentlichen den Anträgen des Auditors (militärischer Staatsanwalt) und verurteilte den Fahrer der Patrouille wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln; wegen fahrlässig verursachter Körperverletzung und wegen Verschleuderung von Armeematerial zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 140 Franken. Die Strafe wurde bedingt ausgesprochen. Die Probezeit beträgt zwei Jahre.

Viel zu schnell über die Kreuzung gefahren

Zum Unfall kam es beim Befahren einer Kreuzung auf der Überlandstrasse in Dübendorf. Die Ampel war auf Rot. An dieser wies das Patrouillenfahrzeug noch eine Geschwindigkeit von 72 Kilometer pro Stunde auf. «Viel zu schnell», wie der Auditor vor Gericht bemerkte. Bei Blaulichtfahrten dürfe zwar auch bei Rot über eine Kreuzung gefahren werden. «Aber nur im Schritttempo und mit der nötigen Vorsicht, sodass bei Gefahr jederzeit angehalten werden kann», so der Auditor. Er bemängelte, dass der Militärpolizist mit seinem Verhalten eine grobe Verletzung der Sorgfaltspflicht beging und das hohe Tempo auch in keinem Verhältnis zum anstehenden Einsatz stand: «Es gab keine Menschenleben zu retten. Fünf Minuten früher oder später am Tatort hätten keinen Unterschied ausgemacht», so der Auditor.

Der Angeklagte ging davon aus, dass sich auf der Kreuzung niemand befand und drückte deshalb aufs Gas. Allerdings übersah er dabei ein VBZ-Tram der Linie 12, welches von rechts kam. Es kam zum verhängnisvollen Crash. Die vortrittsberechtigte Tramfahrerin sah das Blaulichtfahrzeug ebenfalls nicht, weshalb auch sie das Tempo nicht reduzierte. Darüber wunderten sich die Militärrichter: «Waren an diesem Abend ‘ächt’ die Sichtverhältnisse besonders schlecht?», fragte einer. Es war dunkel und nass.

Wegen Massenschlägerei in Kaserne ausgerückt

Entgegen den damaligen Informationen gab es beim Unfall Verletzte. Bei der Beifahrerin des Einsatzfahrzeuges wurde später eine «traumatische Verletzung des Kopfes» sowie ein Tinnitus festgestellt. Sie leidet heute noch an den Folgen, wie sie vor Gericht ausführte. Der Fahrer und Angeklagte, ein 31-jähriger Leutnant aus Bülach, erlitt ein Schleudertrauma. Die Beifahrerin trat vor Gericht als Zivilklägerin auf. Auf ihre Forderungen gingen die Militärrichter nicht ein.

Quelle: Beitrag vom 22. Januar 2022 / TeleZüri

Die Hintergründe des Unfalls im Januar 2021 blieben bisher verborgen. Erst der Prozess brachte diese ans Tageslicht. Demnach befanden sich die beiden Berufsmilitärs auf einer dringlichen Dienstfahrt. Sie waren mit angeschaltetem Blaulicht und Martinshorn unterwegs. Grund für die dringliche Dienstfahrt war eine Massenschlägerei in der Kaserne Dübendorf, zu welcher sie von der Einsatzzentrale aufgeboten wurden.

Es war die «erste» Blaulichtfahrt

In diesem Zusammenhang kam es zu einer laienhaften Fehlinformation. Die Einsatzzentrale sprach zunächst von einer Massenschlägerei in der Kaserne in Kloten. Also rückte die Patrouille vom Stützpunkt Dübendorf nach Kloten aus. Erst kurz vor dem dortigen Eintreffen wurde der Irrtum bemerkt. Danach machte die Patrouille rechtsumkehrt und fuhr zurück nach Dübendorf. Dabei kam es zum besagten Crash. Der Angeklagte bemerkte dazu, er habe sich wegen des Irrtums in Verzug und damit erst recht unter Zeitdruck gefühlt. Der Verteidiger wies auf weitere Punkte hin, welche die Militärpolizei ins Zwielicht rücken. Die beiden Personen im Patrouillenfahrzeug hatten zwar eine Ausbildung für sogenannte «dringliche Dienstfahrten» absolviert, aber keine praktische Erfahrung darin. Es war an diesem Tag also ihre allererste «ernste» Blaulichtfahrt. Einem geeigneten Coaching vom Beifahrersitz aus sei dieser Umstand im Weg gestanden.

Im Weiteren bemängelte der Verteidiger die Ausbildung für solche Blaulichtfahrten. Ungewöhnlich war auch, dass die Einsatzzentrale mit der Patrouille via Handy kommunizierte, obwohl ein Funkspruch vorhanden war. «Weshalb?», fragte der Richter den Angeklagten. «Das müssen Sie die Einsatzzentrale fragen», antwortete dieser. Er beantwortete vor Gericht alle Fragen freundlich und wich nicht aus. Er bereue den Unfall sehr. Seinen Job als Berufsmilitär quittiert er demnächst und beginnt mit einer Ingenieur-Ausbildung.

(Benno Kälin)

veröffentlicht: 20. November 2022 15:14
aktualisiert: 20. November 2022 21:00
Quelle: ZüriToday

Anzeige
Anzeige
argoviatoday@chmedia.ch