Rechtsextreme in Zürich

Wie bedrohlich ist die Junge Tat? Eine Einordnung in sechs Punkten

· Online seit 25.10.2022, 08:29 Uhr
Vermummte junge Männer, die Rauchpetarden schwenken und Parolen skandieren: Nur ein paar adoleszente Unruhestörer oder eine konkrete Bedrohung durch Neonazis? Wir erklären, was man bis jetzt weiss – und was nicht.
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1. Die Aktion

Im Zürcher Tanzhaus findet regelmässig die Lesestunde «Drag Story Time» statt. Kinder sollen sich laut den Veranstaltern dabei mit Themen wie Vielfalt, Identität und Geschlecht befassen. Am Sonntag letzter Woche störte eine Gruppe junger Männer eine Show der Veranstaltungsreihe.

Die Männer waren vermummt, schwenkten Rauchpetarden und skandierten Parolen. Auf einem Transparent stand: «Familien statt Gender-Ideologie». Die rund neun Männer haben damit den Kloster Fahr-Weg vor dem Tanzhaus blockiert.

Auf deren Website heisst es: «Die Veranstaltung, die Künstler:innen und nicht zuletzt unsere Gäste wurden massiv gestört und erschreckt.» Das Tanzhaus hat daraufhin Anzeige gegen die Gruppierung erstattet.

2. Die Junge Tat

Die Gruppierung nennt sich die Junge Tat und wird im rechtsextremen Milieu verortet. Sie führte unter anderem Anfang Jahr eine Demonstration von Corona-Massnahmen-Gegnern in Bern an und versuchte im Juni an der Zurich Pride einen LGBTQI-Gottesdienst zu stören.

Die meisten Mitglieder der Gruppe sind polizeibekannt, einige vorbestraft. Eine wichtige Figur der Gruppe ist Manuel C. 2020 machte der damals 19-jährige Student der Zürcher Hochschule der Künste auf sich aufmerksam, weil er dort rechtsextremes Gedankengut verbreitete und mutmasslich mehrere Online-Vorlesungen mit Nazi-Parolen störte.

Wegen Hinweisen auf illegalen Waffenbesitz führte die Polizei im Sommer 2020 bei ihm eine Hausdurchsuchung durch – und wurde fündig. Mehrere Schusswaffen seien bei ihm sichergestellt worden, meldete die Polizei.

Später wurden die Mitglieder wegen Rassendiskriminierung, Vergehen gegen das Waffengesetz und Sachbeschädigung zu bedingten Geldstrafen verurteilt. 3600 Franken betrug die bedingte Geldstrafe für C., ausserdem musste er 13'000 Franken Verfahrenskosten übernehmen.

3. Das Video

Die rechtsextreme Organisation sorgte am Sonntag, eine Woche nach der Aktion im Tanzhaus, mit einem Video in den sozialen Medien für Aufsehen. Über ihren Twitter-Kanal verbreitete die Gruppierung Aufnahmen ihrer Störaktion von vor einer Woche.

In dem Video sprechen zwei Mitglieder, «Tobi» und «Manu», über ihre Taten. Ein längeres Video ist auf ihrer Website zu finden. Bei «Manu» handelt es sich um den bereits erwähnten Manuel C. Der andere ist ebenfalls bekannt: Tobias L. – ein verurteilter Gewalttäter.

In dem Video wird Brandy Butler, eine der Veranstalterinnen der «Drag Story Time», kritisiert, da sie eine «gender-ideologische und links-dogmatische Persönlichkeit» sei. Butler wollte sich gegenüber ZüriToday nicht zum Video äussern.

Die Kommunikationsleiterin des Tanzhauses verweist auf Anfrage auf die Kantonspolizei, da sie Anzeige erstattet hätten: «Wir sind im laufenden Ermittlungsverfahren in engem Austausch mit den Strafverfolgungsbehörden», heisst es weiter.

Auf Instagram hat derweil Butler verkündet, dass sie Spenden sammle für einen Weiterzug der Veranstaltung:

Die beiden Rechtsextremen zeigen sich im Video weiter empört über die Skandalisierung ihrer Aktion in den Medien. Als einzig positive Berichterstattung wird ein Artikel von Joyce Küng in der Weltwoche genannt.

Gegenüber ZüriToday zeigte sich Küng empört über das Video: «Diese Gruppierung missbraucht mich als deren Schutzschild.» Die Junge Tat würde sie als «positive Berichterstattung» bezeichnen, obwohl der von ihr geschriebene Artikel bereits vor drei Wochen erschien.

Darin kritisierte sie zwar die Veranstaltungsreihe im Tanzhaus. Ihr ging es aber um die Subvention durch die Stadt und keineswegs um LGBTQ als solches. Joyce stellt klar: «Ich bin gegen Nazis, aber auch gegen das Gendern.» Brisant: Laut Küng wurde ihr ein Hinweis zu der Veranstaltung von einem Twitteraccount zugeschickt, der Hinweisen zufolge mit der Jungen Tat mindestens sympathisiert.

Die Symbolik in dem Video und auf der Website der Junge Tat verweist auf die rechtsradikale und teilweise auch klar rassistische Haltung der Organisation. So deutet die Tasche, die im Video zu sehen ist, auf eine Verherrlichung des norwegischen Attentäters Anders Breivik.

4. Das sagen Experten

Kurt Pelda, Journalist, Kriegsreporter und Autor, hat sich intensiv mit der rechtsextremen Szene in der Schweiz befasst. Er beobachtet die Gruppierung schon länger. Ihr neuster Schachzug überrascht ihn indes nicht: «Das Video ist typisch für die Junge Tat.» Denn seit dem Ende der Corona-Massnahmen seien der Gruppierung die Themen ausgegangen, deshalb hätten sie nun ein neues gefunden: «Die Wokeness-Bewegung.»

Offenbar fühlt sich die Organisation ermutigt, da sie ein grosser Teil der Gesellschaft in diesem Punkt hinter sich wissen. Dass ein Bundesrat offen gegen die «Woke-Kultur» ausspricht und mit Äusserungen «bewusst provoziert», ist dabei noch das Pünktchen auf dem i.

Dass die Junge Tat ihre Aktionen gegen Geschlechtsdiversität beziehungsweise diverse sexuelle Orientierungen richtet, ist dabei kein Zufall, wie Dirk Baier, Professor für Delinquenz und Kriminalprävention an der ZHAW sagt: «Dies hat zwei Gründe: Einerseits gibt es im Rechtsextremismus nur die Unterscheidung von Mann und Frau, verbunden mit einer klaren Rollenzuteilung; Sexualität wird rein als Heterosexualität gedacht. Alles, was diesem Bild nicht entspricht, wird abgewertet.»

Die Kontroversen um die sogenannten «Gender-Diskurse» führten dazu, dass die Junge Tat sich durch einen Teil der Gesellschaft ermutigt fühlt, solche Störaktionen zu lancieren. «So sollen diese auch dazu dienen, diesen Teil der Bevölkerung anzusprechen und für die eigene Bewegung zu interessieren», sagt Baier.

Dies sieht auch Rechtsextremismus-Experte Pelda so: «Mit diesem Video möchte die Junge Tat auf sich aufmerksam machen. Es geht darum, Leute für ihre Organisation zu rekrutieren.»

5. Andere rechtsradikale Organisationen

Rechtsextreme Gruppierungen gibt es seit Jahrzehnten in der Schweiz. In der Vergangenheit waren sie weniger sichtbar; es wurde auch wenig rechtsextreme Gewalt festgestellt. «Dies hat dazu geführt, die Gruppierungen zu unterschätzen», sagt Rechtsextremismus-Professor Baier.

Die Junge Tat habe nun zweierlei erreicht: Sie modernisiert den Rechtsextremismus mit niedrigschwelligen, nicht gewalttätigen Aktionen, ähnlich wie das die Identitäre Bewegung in der Vergangenheit getan hat. Und sie spricht damit vor allem junge Rechtsextreme in der Schweiz an, die sich über die Junge Tat vernetzen.

6. Wie geht es weiter?

Kurt Pelda geht davon aus, dass von der Organisation direkt wohl weniger eine Bedrohung ausgeht. Eher könnte es sein, dass einzelne Mitglieder der Jungen Tat von sich aus aktiv werden und Gewalt ausüben. «Da hat es einige dabei, die nicht ganz ungefährlich sind», so Pelda.

Allerdings müsse die Organisation aufpassen, dass sie nicht zur Gewalt aufruft. Pelda: «Beim ersten Faustschlag oder Messerstich ruft das den Nachrichtendienst des Bundes auf den Plan.» Dieser würde dann nach der Absegnung durch das Bundesgericht die Mitglieder abhören dürfen. «Und das weiss die Junge Tat.»

veröffentlicht: 25. Oktober 2022 08:29
aktualisiert: 25. Oktober 2022 08:29
Quelle: ZüriToday

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