Kurz nach 10 Uhr am Freitagvormittag kommt der Regen. Wie ein Versuch besprüht er den Asphalt, so zart, als habe ihn die allgemeine Vorsicht ringsum angesteckt. Dabei sehnen sie sich hier, im Südwesten Berlins, nach Sorglosigkeit. Und haben das Gegenteil. Sorgen en masse. Seit gut einem Tag lodert hier ein Brand wie noch keiner.
Am Donnerstagmorgen nach 3 Uhr begannen Raketen in den Himmel über Berlin zu schiessen, die niemand abgefeuert hatte. Es detonierten Bomben, die keiner zündete – ihr Knallen riss die Menschen aus dem Schlaf, die am Grunewald wohnen, wie die «Aargauer Zeitung» berichtet.
Bomben, Munition, konfisziertes Feuerwerk
Die Feuerwehr war rasch alarmiert und vor Ort, fand die Meldungen von unkontrollierten Explosionen bestätigt. Da brennt es schon im Grunewald, der grünen Lunge Berlins zwischen Wann- und Schlachtensee, knapp an seiner bekanntesten Autobahn, der Avus, die ursprünglich als Rennstrecke diente und Berlin mit Potsdam verbindet. Sie wird schnell gesperrt, auch die parallel verlaufenden Bahnstrecken. Damit sind die wichtigsten Wege aus dem Westen in die deutsche Hauptstadt dicht.
Das, heisst es rasch, sei auch nötig. Längst brennt der Wald. Und das Zentrum des Feuers ist der sogenannte Sprengplatz der Berliner Polizei. Hier lagert, was kontrolliert zur Explosion gebracht werden muss: Bomben und sonstige Munition aus dem Zweiten Weltkrieg, die bei Bauarbeiten häufig gefunden werden, ausserdem beschlagnahmte Feuerwerkskörper. Bis zu 50 Tonnen, heisst es. Von Kontrolle aber ist jetzt keine Rede mehr.
Sprengplatz ist Erbe aus der Teilung der Stadt
Bis Freitagvormittag können Feuerwehr, Polizei und Bundeswehr nicht mehr tun, als das Feuer in Schach zu halten – also innerhalb eines Sperrkreises mit einem Radius von einem Kilometer. Über Nacht sind Löschroboter angekommen; Berlin hat im ganzen Land um Unterstützung gebeten. Und die Politik, vorneweg Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey, wird gefragt, weshalb um Himmels willen explosives Material mitten in der deutschen Hauptstadt mitten im Wald gelagert werde – in diesen Klimazeiten, bei dieser Trockenheit?
Die Antwort ist schlicht. Als der Platz 1950 gewählt wurde, war Berlin eine geteilte Stadt. Und für Westberlin gab es nichts als den Grunewald, um all die aus Boden und Seen und Flüssen geborgenen Blindgänger aus dem Weltkrieg zu lagern und zu entschärfen. Nach dem Mauerfall, heisst es, habe man sich mit dem die ganze Hauptstadt umgebenden Brandenburg dann nicht auf Sprengungen dort einigen können. Auch dort strotzen die Wälder – die seit einigen Sommern regelmässig in Brand geraten – vor Munition.
Ohnehin tun sich die Berliner und die Brandenburger miteinander schwer. Aus zwei Ländern eins machen – wie ihre Regierungen 1995 vereinbarten – wollen sie schon gar nicht. Für die Berliner ist Brandenburg zwar ein schickes Ausflugsziel, aber natürlich viel zu provinziell.
Zurück zur explosiven Altlast im Grunewald: Laut Feuerwehr ist der Einsatz der «gefährlichste seit dem Krieg». Am Freitagnachmittag sind die Flammen unter Kontrolle; obwohl der Morgenregen ein Tröpfeln geblieben ist. Die Wege nach Berlin bleiben aber gesperrt. Weil die Explosionsgefahr nicht gebannt ist.