Obergericht

Büsst Aargauer Oberrichter Staatsanwältin zu Unrecht?

27.06.2023, 08:04 Uhr
· Online seit 27.06.2023, 07:24 Uhr
Für das Nichterscheinen an einer Verhandlung vor Obergericht wurde eine Aargauer Staatsanwältin gebüsst. Und das, obwohl sie mehrfach mitteilte, dass die Terminvorschläge für sie nicht möglich seien. Für die Staatsanwaltschaft ist dies ein unverständliches Vorgehen.
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Mehrfach teilte eine Staatsanwältin von der Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau dem Obergericht mit, dass ihr die Terminvorschläge für die Berufungsverhandlung nicht möglich seien. Auch auf das darauffolgende Verschiebungsgesuch der Staatsanwältin ist das Obergericht nicht eingetreten. Für die Staatsanwaltschaft unverständlich, wie Sprecher Adrian Schuler auf Anfrage von ArgoviaToday mitteilt.

Der Vorfall

Die 1. Strafkammer des Aargauer Obergerichts hat einer Staatsanwältin die höchstmögliche Ordnungsbusse von 1000 Franken für das Fernbleiben einer Berufungsverhandlung aufgebrummt. Und das, obwohl die Staatsanwältin im Vorfeld mehrmals mitgeteilt hatte, dass ihr die fünf Terminvorschläge des Gerichts terminlich nicht passen würden.

Das Berufungsverfahren liegt bereits seit Dezember 2022 bei der 1. Strafkammer des Obergerichts vor. Am 10. Mai 2023 wurde die Gerichtskanzlei von Oberrichter Six beauftragt, einen Verhandlungstermin innert drei Wochen mit den Beteiligten zu vereinbaren. Dazu gehörten neben dem Beschuldigten und seiner Verteidigerin auch die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau. Seitens Gericht wurden fünf Terminvorschläge für den Monat Juni gemacht. Alle Vorschläge für die halbtägige Verhandlung waren in der gleichen Woche und auf drei Tage beschränkt, nur die Uhrzeiten variierten.

Prozess ohne Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwältin teilte dem Gericht mit, dass ihr diese Termine nicht möglich seien, da sie am 5. und 9. Juni Ferien habe und am 12. Juni Pikettdienst. Dabei ist anzumerken, dass die Staatsanwältin das Verfahren von einem anderen Staatsanwalt übernommen hatte, da dieser für mehrere Monate abwesend ist. Das Obergericht wies sodann die Staatsanwältin darauf hin, dass das Obergericht auf ein hohes Mass an Flexibilität der Parteien angewiesen sei und erwartet werde, dass die Staatsanwaltschaft sich so organisiert, dass eine effektive und zeitnahe Vertretung möglich sei.

Die Staatsanwältin teilte nochmals mit, dass ihr die Termine nicht möglich seien, worauf das Gericht die Verhandlung dennoch auf den 9. Juni ansetzte. Auf das darauffolgende Verschiebungsgesuch der Staatsanwältin trat das Obergericht ebenfalls nicht ein. Dies mit der Begründung, der Staatsanwältin stünde es frei, sich vertreten zu lassen. Das Nichterscheinen werde deshalb als unentschuldigt gelten. Die Verhandlung vom 9. Juni fand statt – ohne Anwesenheit der Staatsanwaltschaft. Das Gericht fällte neben dem Urteil auch den Beschluss über die Ordnungsbusse für das unentschuldigte Nichterscheinen der Staatsanwältin.

Dass die Gerichte Terminvorschläge machen und einen gewissen Druck haben, sei klar und verständlich, aber die Vorgehensweise der 1. Strafkammer sei problematisch, hält Adrian Schuler fest. «Die Bürger fragen sich möglicherweise, ob Ferien nicht auch verschoben werden könnten, aber einerseits müssen auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Ferien beziehen und zum anderen wäre ein derartiges Vorgehen nur mit einer sehr langen Vorlaufzeit und auf eigenen Vorschlag der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters möglich», so Schuler.

Dass Terminvorschläge so kurzfristig gemacht werden, sei zudem unüblich: «Normalerweise hat man mindestens zwei bis drei Monate Vorzeit für einen Termin», erklärt Schuler. Das sagt auch der Aarauer Rechtsanwalt Dominik Brändli auf Anfrage: «Dass Verhandlungen so kurzfristig angesetzt werden, ist nach meiner Erfahrung sonst meist nur in Verfahren der Fall, in denen sich Personen in Haft befinden. Ansonsten erfolgen die Anfragen des Obergerichts nach meinem Empfinden nach mit deutlich mehr Vorlauf; auch wenn es dafür jedoch keine fixe Regelung gibt.»

Terminvereinbarungen für Verhandlungen können sicherlich mühselig sein. Das kennen auch die Staatsanwaltschaften von ihren Einvernahmen. Weshalb die 1. Strafkammer die Situation derart eskalieren lasse, versteht Schuler nicht. Er wünscht sich eine bessere Kommunikation zwischen Gerichten und der jeweiligen Staatsanwaltschaft. «Die Unabhängigkeit der Gerichte muss natürlich gewahrt bleiben, ein menschliches Miteinander sollte aber dennoch möglich sein», sagt Schuler.

Obergericht sieht keine Eskalation bei dem Vorfall

Dass eine Terminabsprache schliesslich zu der höchstmöglichen Ordnungsbusse führte, ist für das Aargauer Obergericht keine Eskalation. Auf Anfrage heisst es: «Der Umstand, dass die 1. Strafkammer am Termin der Verhandlung festhielt, stellt keine Eskalation dar, sondern entspricht der geltenden und für alle Prozessparteien verbindlichen Regelung.» Die Festlegung der Höhe einer Ordnungsbusse liegt im Ermessen des Gerichts.

Für die Gründe, warum in diesem Fall die höchstmögliche Busse von 1000 Franken ausgesprochen wurde, verweist das Obergericht auf den entsprechenden Entscheid. Über den Grund, warum die 1. Strafkammer denn kurzfristiger nach Terminen sucht als anderen, teilt das Obergericht mit: «Vorladungen in gerichtlichen Verfahren werden mindestens zehn Tage vor der Verhandlung zugestellt. Folglich liegt eine Terminabsprache drei Wochen vor dem vorgesehenen Termin ohne weiteres im zulässigen Rahmen.» Ob das Obergericht rechtbehält, wird sich zeigen. Die Oberstaatsanwaltschaft hat eine Beschwerde gegen den Beschluss beim Bundesgericht eingereicht.

veröffentlicht: 27. Juni 2023 07:24
aktualisiert: 27. Juni 2023 08:04
Quelle: ArgoviaToday

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