Die heute 37-jährigen Eheleute aus Somalia haben acht Kinder, davon sechs Töchter. Im Jahr 2014 reiste der Vater in die Schweiz ein, 2018 folgte die Mutter mit den Kindern. Fünf der sechs Mädchen waren in Somalia beschnitten worden. Sie waren damals zwischen vier und elf Jahre alt. Heute sind zwei volljährig, drei sind im Teenageralter. Bei der jüngsten Tochter war der Eingriff nicht vorgenommen worden.
In der Schweiz erzählte eines der Kinder im Aufklärungsunterricht der Primarschule, bei ihm sei «geschnitten worden». Die Schule schaltete die Kinderschutzgruppe des Kantonsspitals Aargau ein. Es kam ein Verfahren in Gang.
«Ein schlimmes Unrecht»
Das Gericht habe den Freispruch einstimmig beschlossen, sagte die vorsitzende Richterin bei der mündlichen Urteilsbegründung. Und er erfolge nicht, «weil wir es nicht schlimm finden». Den Mädchen «wurde ein sehr schlimmes Unrecht angetan». Das «schwere Verbrechen» werde die fünf ihr Leben lang beeinträchtigen.
Auf Freispruch habe das Gericht entschieden, weil erstens nicht erstellt werden könne, was damals genau geschehen sei und wie die Umstände gewesen seien. Zweitens sei nicht klar, ob die Beschuldigten gewusst hätten, dass sie etwas Schlechtes machten.
In Somalia seien 98 Prozent der weiblichen Bevölkerung beschnitten. Das gehöre zum Leben. Man wisse nicht, ob die Eltern Kenntnis davon gehabt hätten, dass die somalische Verfassung seit 2012 Mädchenbeschneidung verbiete. Ein Strafgesetz dazu gibt es allerdings bis heute nicht.
Weder die Beschuldigten noch die Geschädigten hätten im Verfahren Aussagen gemacht, was ihr gutes Recht sei, sagte die Richterin. Es habe aber dazu geführt, dass sehr wenig bekannt sei vom Leben der Familie in Somalia. Laut Bericht der Migrationsbehörde handle es sich um «einfache Leute vom Lande, die mit ihrer Ziegenherde umherzogen».
Erfolg für Verteidigung
Das Gericht folgte mit den Freisprüchen den Anträgen der Verteidiger. Diese hatten moniert, die Anklageschrift sei zu ungenau. Es sei klar, dass die Mädchen beschnitten worden seien. Nicht bekannt sei aber, wann wo und wie dies geschehen sei. Zudem machten sie diverse Verfahrensmängel geltend, was vom Gericht aber zurückgewiesen wurde.
Die Staatsanwältin warf den Eltern vor, sie hätten nichts getan, um die Verstümmelung ihrer Töchter zu verhindern. Möglicherweise hätten sie auch Dritte konkret mit dem Eingriff beauftragt. Sie forderte für beide je eine bedingte Freiheitsstrafe von 24 Monaten sowie eine Busse von 2000 Franken.
Auch in Somalia verboten
Gemäss Definition der WHO umfasst weibliche Genitalverstümmelung sämtliche Verfahren, bei denen die äusseren weiblichen Genitalien aus nicht medizinischen Gründe teilweise oder vollständig entfernt oder anderweitig verletzt werden. Das Schweizer Strafgesetzbuch verbietet diese Eingriffe seit 2012 explizit. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie im In- oder Ausland vorgenommen wurden.
Es drohen Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren oder Geldstrafen. Bestraft wird nicht nur die Person, welche die Beschneidung durchgeführt hat, sondern auch Eltern oder Verwandte, welche sie veranlasst oder ihr zugestimmt haben. Laut dem Bezirksgericht Baden kann aber nur bestraft werden, wem das Unrecht einer Tat bewusst ist.
(sda/rag)