Aargau/Solothurn

«Das ist jetzt mein neues Leben» – so kann eine Spende helfen

Stammzellenspende

«Das ist jetzt mein neues Leben» – so kann eine Spende helfen

28.09.2023, 16:27 Uhr
· Online seit 28.08.2023, 07:12 Uhr
Myriam Fontana war 12 Jahre alt, als bei ihr eine Blutkrankheit diagnostiziert wurde. 25 Jahre später brauchte sie dringend eine Stammzellenspende, um zu überleben. Wie diese lief und was im Vorfeld beachtet werden muss, erzählt uns eine Betroffene.
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«Als ich 12 Jahre alt war, stellten die Ärzte bei mir eine aplastische Anämie fest», beginnt Myriam zu erzählen. Bei dieser Blutkrankheit produziert das Knochenmark mehrere Blutbestandteile nur gering oder überhaupt nicht. Die Folgen: Man fühlt sich schlapp und ist anfälliger für Infekte. «Ich hatte immer ganz viele blaue Flecken und manchmal wusste ich nicht mal von was», erinnert sich die Fribourgerin, die mittlerweile in Bern wohnt.

Sie durfte als Kind keinen gefährlichen Sport machen. «Sie wollten mir immer alles verbieten – Rollerbladen, Skifahren und am Ende auch Fussball. Ich habe vorher gespielt.» Myriam musste schon sehr früh lernen, sich zu entscheiden. Mit der Zeit häuften sich allerdings die Spitalbesuche, bis Myriam im April 2021 eine Entscheidung für eine Spende treffen musste.

In Myriams Knochenmark wurden Zellen gefunden, die eine akute Leukämie auslösen könnten. Dies hätte nach sechs Monaten oder auch nach drei Jahren passieren können – daher entschied sie sich dazu, so schnell wie möglich eine Stammzellenspende durchführen zu lassen. «Es war die einzige Chance auf Heilung», so die heute 38-Jährige.

Eine Knochenmarkspende zu erhalten, ist sehr gefährlich. Deshalb kam dies für Myriam nicht schon früher infrage. In Basel hatte sie dann ein Informationsgespräch mit den Ärzten. Diese erklärten genau, wie der Prozess ablaufen würde. Mit ihrem Einverständnis wurde dann nach einer passenden Spende in der Datenbank für Blutstammzellen gesucht.

Nach drei Monaten wurden die passenden Stammzellen gefunden. Eine Person hatte zehn von zwölf passenden Merkmalen in seinen Blutstammzellen. «Ich hatte Glück! Bei einem von vier Erkrankten wird kein Spender oder keine Spenderin gefunden. Nur wenige Leute lassen sich in der Datenbank registriert», sagt Myriam. «Es ist so einfach. Es braucht nicht viel, um sich registrieren zu lassen, und um vielleicht ein Leben retten zu können.»

Die Patientin wurde nach und nach auf die Spende vorbereitet. Da die Zellen im Blut zu diesem Zeitpunkt bereits zu wenig waren, musste sie diese regelmässig auffüllen lassen. Im November 2021 war es dann endlich so weit. «Ich hatte Angst und Zweifel, ob alles gut kommt und ob ich überlebe», erklärt sie. Vor der Spende wurde ihr Immunsystem komplett heruntergefahren. «Ich war viereinhalb Wochen in einem Isolierzimmer. Ich hatte schon ein Fenster, konnte dies aber nicht aufmachen. Da war eine Lüftung, von der ich Frischluft bekommen habe.»

In diesem Isolierzimmer war alles steril. Myriam hatte ihren Laptop dabei und ging regelmässig auf den Hometrainer, um nicht nur im Bett zu liegen und etwas für ihre Fitness zu tun. Allerdings war sie immer auf Hilfe angewiesen. «Wenn das Fehrnsehkästli auf den Boden fiel, musste jemand kommen und es desinfizieren.» Myriam war zu dieser Zeit sehr anfällig für Infektionen. Jede Infektion hätte ein Risiko für sie dargestellt. Dennoch musste sie sich so auf die Spende vorbereiten.

Das Immunsystem muss heruntergefahren werden, damit der Körper die neuen Stammzellen möglichst gut aufnehmen kann. Dennoch musste Myriam fit sein, um die Spende überhaupt zu überleben. Beim ersten Versuch mussten die Ärzte den Vorgang bei Myriam vor vor Beginn wieder abbrechen, da sie zuerst einen schweren Lungeninfekt auskurieren musste. «Ich bin dann nochmals nach Hause und dann wieder ins Spital. Das war von der Psyche her schon schwer und herausfordernd», erzählt Myriam.

Als bei ihr alles in Ordnung war, konnte die Therapie beginnen. «Ich hatte zuerst drei Tage Antikörpertherapie und danach fünf Tage Chemotherapie.» Im Idealfall sind dann die erkrankten Zellen abgetötet und die Blutproduktion gestoppt. «Man muss sich das so vorstellen, dass sich die neuen Spenderzellen in einem sauberen Haushalt einnisten wollen», erklärt Myriam.

Nach all diesen Therapien kam für Myriam dann endlich der Tag null. «Sie kamen zu mir ins Zimmer mit einem Beutel. Der war voll mit Knochenmark – 1392 Milliliter rote Flüssigkeit.» Dem Spender oder der Spenderin wurde das Knochenmark operativ entnommen. Myriam wird diese Person nie kennenlernen dürfen, da dies in der Schweiz verboten ist. «Ich fand das schon krass, dass das jemand so einfach macht – also für jemand Fremdes.»

Im Hals hatte Myriam einen zentralen Venenkatheter stecken. «Der geht bis zum Vorhof des Herzes», erklärt sie. Durch diesen Schlauch würden ihr die fast zwei Liter Knochenmark zugeführt. «Den Schlauch haben sie mit Nadeln angenäht.» Laut Myriam ist die Transplantation gar nicht so spektakulär gewesen. Es hätte sich angefühlt wie bei einer Bluttransfusion.

Nach der Spende standen für die Patientin noch einmal zwei Tage Chemotherapie an und dann musste sie warten, bis sich die neuen Zellen im Blut vermehrt haben. Sie bekam eine Art Booster, der diesen Prozess beschleunigen sollte. «Der Booster hat bei mir megastarke Knochenschmerzen verursacht.» Diese seien wie Wachstumsschmerzen bei Kindern. «Eine Woche nach der Chemotherapie begann dann der Haarausfall. Das war schon schlimm» Heute lässt sich Myriam ihre Haare wieder wachsen, obwohl sie sie davor immer kurz getragen hatte.

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Als die Ärzte sicher waren, dass die Zellen auch ohne Booster weiter wachsen können, wurde sie nach Hause geschickt. Mittlerweile – fast zwei Jahre nach der Spende – kann sie wieder in einem 30-Prozent-Pensum arbeiten und lebt eigenständig. Sie ist allerdings noch nicht am Ziel. «Sehr oft habe ich noch Schmerzen. Oft weiss ich auch nicht, woher die kommen», sagt sie. Noch immer muss sie sich stärker von Viren und Bakterien schützen als gesunde Menschen. Das Risiko bleibt immer noch bestehen, dass sie bei einer Infektion sterben könnte.

«Gesund ist ein Wort, das ich nicht in den Mund nehmen will», so Myriam über ihren aktuellen Gesundheitszustand. «Ich hoffe, dass ich irgendwann sagen kann, dass ich geheilt bin.» Ihre Geschichte hat die 38-Jährige in einem Buch festgehalten. Sie hofft damit, Menschen für eine Registrierung zu sensibilisieren. So hätten mehr Menschen eine Chance auf Heilung, ist sie sich sicher. Ihrem Spender oder Spenderin hat Myriam einen Brief zukommen lassen. «Ich wollte damit einfach Danke sagen.»

veröffentlicht: 28. August 2023 07:12
aktualisiert: 28. September 2023 16:27
Quelle: ArgoviaToday

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