Wegen vergessenem Haargummi

Jugileiterin schneidet Mädchen eine Haarsträhne ab

14.09.2022, 06:09 Uhr
· Online seit 14.09.2022, 05:52 Uhr
Weil das Turnen mit offenen Haaren gefährlich sei, griff eine Leiterin aus dem Fricktal zu drastischen Massnahmen. Das betroffene Mädchen und seine Mutter erzählen vom Vorfall im vergangenen Juni. Und welche Folgen dieser für die Leiterin hatte.

Quelle: ArgoviaToday/Michelle Brunner

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Im vergangenen Juni schickte Manuela Guggenbühl ihre Tochter wie gewohnt an einem Mittwochabend in die Jugi. Kurz darauf bekam sie aber eine aufwühlende Whatsapp-Sprachnachricht ihres Sohns, der als Helfer in der Jugi tätig ist. «Er berichtete mir, dass die Jugileiterin meiner Tochter soeben eine Haarsträhne abgeschnitten hat», erzählt Guggenbühl gegenüber ArgoviaToday.

Der Grund: Turnen mit offenen Haaren sei gefährlich. Deshalb habe sie den Kindern bereits im Vorfeld mit der Massnahme gedroht. «Ich konnte zuerst meinen Ohren nicht trauen. Ich sagte der Leiterin, sie solle sich unverzüglich bei mir melden», erinnert sich die Hausfrau. Nachdem sie aber fünf Minuten nichts gehört habe, setzte sie sich mit ihrer Schwägerin ins Auto, um die Leiterin vor Ort zu konfrontieren.

Die Mutter stiess bei der Leiterin auf taube Ohren. «Sie meinte, eine Haarsträhne abschneiden sei nicht schlimm und ich solle nicht überreagieren.» Für das 9-jährige Mädchen war es jedoch ein dramatisches Erlebnis. «Ich bin vor ihr weggerannt, aber sie hat mir den Weg versperrt, so dass ich nicht aus der Turnhalle kam. Dann hat sie eine Schere aus dem Sanitätsmaterial genommen und mir die Haare abgeschnitten», so die Schülerin. Sie habe sich nicht getraut, sich zu wehren. Hilfe bei ihren Gspöndli suchte sie vergebens. Ein paar haben sogar gelacht.

Tochter liebte ihre langen Haare

Guggenbühl forderte eine Stellungnahme seitens der Jugi. Von der Leitung kam aber auch wenig Verständnis für den Ärger der Guggenbühls. Darum griff die Mutter zu drastischeren Massnahmen. «Ich entschied mich, die Leiterin wegen Körperverletzung anzuzeigen. Dabei dachte ich auch an die anderen Kinder. Wer weiss, ob sie es ein zweites Mal machen würde.» Mit ihrer Tochter musste Guggenbühl zum Coiffeur, um die Haare alle auf dieselbe Länge zu kürzen. Dabei seien Tränen bei der 9-jährigen geflossen, die sehr an ihren langen Haaren hing.

Leiterin bietet an, den Coiffeur zu zahlen

Als die Anzeige raus war, wurde die Leiterin gemäss Guggenbühl aktiv. «Sie bot mir an, dass sie die Coiffeurkosten übernähme, wenn ich ihr verspreche die Anzeige zurückzuziehen.» Zu diesem Zeitpunkt sei es laut Guggenbühl aber bereits zu spät gewesen. «Ich hätte die Anklage aber auch sonst nicht zurückgezogen. Die Jugi und die Leiterin haben einfach zu wenig Verständnis gezeigt. Entschuldigt hat sich die Täterin beispielsweise erst, als ich sie darum gebeten habe.»

Haare abschneiden kommt der Leiterin teuer zu stehen

Jemandem gegen dessen Willen die Haare zu kürzen, gilt nicht als Körperverletzung. Trotzdem blieb die Aktion für die Leiterin nicht folgenlos. Sie wurde für eine Tätlichkeit, welche keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur Folge hatte, verurteilt. Die Busse dafür: 100 Franken. Dazu kommen eine Gebühr von 300 Franken und 20 Franken Polizeikosten. «Meine Tochter hat zwar keine körperlichen Verletzungen wie Narben vom Vorfall davongetragen. Es ging mir bei der Anzeige aber vor allem darum, ein Zeichen zu setzen. Man muss sich nicht alles gefallen lassen», so Guggenbühl.

Swiss Sport Integrity hat ein Verfahren eröffnet

Seit diesem Tag geht Guggenbühls Tochter nicht mehr in die Jugi in Frick. Auch ihr Sohn ist nicht mehr im Verein aktiv, da die Leiterin nach der Anzeige ihren Frust an ihm verbal ausgelassen habe, sagt die Mutter der beiden. Die Jugileiterin will sich ArgoviaToday gegenüber nicht zu dem Vorfall äussern. Auch der Aargauer Turnverband ATV will keine Stellungnahme abgeben, da die Stiftung Swiss Sport Integrity ein Verfahren eröffnet habe. «Der Schweizer und der Aargauer Turnverband wurden über eine Eröffnung informiert. Wir wollen nicht den Untersuchungen vorgreifen», so Pascal Hunziker vom ATV. Swiss Sports Integrity gibt ebenfalls keine Auskunft. Die Stiftung mit Sitz in Bern ermittelt bei Verstössen gegen das Ethik-Statut des Schweizer Sports. Darin geregelt ist unter anderem der Schutz der physischen und psychischen Integrität. Sobald der Schlussbericht vorliegt, fällt die Disziplinarkammer des Schweizer Sports ihr Urteil.

veröffentlicht: 14. September 2022 05:52
aktualisiert: 14. September 2022 06:09
Quelle: ArgoviaToday

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