Quelle: ArgoviaToday / Severin Mayer
Stephan Weber: In den letzten Tagen hatten wir eine hohe Anzahl von Neuinfektionen im Kanton Aargau. Zudem stecken wir mitten in der Omikron-Krise. Macht Ihnen diese Entwicklung Sorgen?
Jean-Pierre Gallati: Ich glaube, dass die Entwicklung nicht so schlimm ist, wie man Mitte Dezember noch befürchtete. Die steigenden Fallzahlen machen sich nicht so fest in den Spitälern und Intensivstationen bemerkbar, wie man damals dachte. Wir hatten am Anfang rund 26 neue Patienten auf den Intensivstationen pro Tag. Heute sind es im Schnitt noch 14. Auf der allgemeinen Abteilung starteten wir mit rund 78 bis 80 Patienten pro Tag und jetzt sind es noch zwischen 70 und 74. Das, was sich auf die Spitäler auswirkt, lief bis jetzt glimpflich ab.
Trotz der steigenden Fallzahlen hat der Bundesrat beschlossen, dass man nur noch fünf Tage in die Quarantäne muss. Der Kanton Aargau setzt bei Isolation und Quarantäne nun auf Eigenverantwortung. Ist das nicht eine zu liberale Haltung gegenüber den Bürgern?
Das ist bei allen ansteckenden Krankheiten der Fall. Bei einer normalen Krankheit sagt der Bund auch nicht, wie lange man sich isolieren sollte. Man geht zum Arzt, bekommt ein Arztzeugnis und wird für eine gewisse Zeit als arbeitsunfähig eingestuft. Dieses Ziel müssen wir auch bei Corona im Verlaufe der Zeit erreichen.
Vor einem Jahr wäre das undenkbar gewesen. Hat sich das Virus in der Zwischenzeit so stark verändert, dass man ein gewisses Risiko in Kauf nimmt?
Mittlerweile wissen die Leute, um was es bei dem Virus geht. Es wäre weder personell noch materiell möglich, allen Leuten eine Quarantäne-Verfügung zu verschicken. Zudem wird die Quarantäne in Zukunft immer mehr ihre Bedeutung verlieren. Heutzutage müssen nur noch die Personen in Quarantäne, die im selben Haushalt mit einer positiven Person leben und in den letzten Monaten nicht geimpft wurden. Diese Personen werden mit Omikron wahrscheinlich alle auch positiv werden. Heute ist man einfach schneller infiziert.
Es läuft also auf eine Durchseuchung hinaus. Ist das der Weg?
Das ist nicht etwas, was man macht. Das ist keine gezielte Politik des Regierungsrates oder des Bundesrates. Die Durchseuchung läuft ab. Sie findet statt. Das ist offensichtlich.
Themawechsel: Es gibt immer wieder Menschen, die gegen die Massnahmen der Regierung protestieren. Unter anderem sind das auch Eltern, die ihre Kinder nicht mit einer Maske in die Schule schicken wollen und sie deshalb zu Hause unterrichten. Was sagen Sie dazu?
Homeschooling ist nichts Negatives und bei uns erlaubt. Im Aargau gibt es rund 400 Familien, die Homeschooling praktizieren. Ob es durch die Pandemie einen Zuwachs geben wird, das kann ich nicht sagen. Es gibt jedoch Personen, die gegen die Maskenpflicht in den Schulen protestieren und bereits auch mit Rechtsmittel vorgegangen sind. Das ist meiner Meinung nach eine kleine, aber laute Minderheit. Ich nehme Minderheiten ernst. Sie sollen und dürfen sich äussern. Wir können unsere Politik jedoch nicht nach dieser Minderheit ausrichten.
Sie sprechen die Politik an. Es gibt tatsächlich auch politische Bewegungen, die sich gegen Corona und dessen Massnahmen vereinen. Mit der Bewegung «Aufrecht Schweiz» zum Beispiel kandidieren im Kanton Bern rund 60 Menschen für das Kantonsparlament. Auch im Aargau soll diese Bewegung entstehen.
Zahlenmässig ist dies eine kleine Minderheit. Sie können für eine Petition 60 Unterschriften sammeln. Wir haben im Kanton Aargau aber 700'000 Einwohnerinnen und Einwohner. Ob sich aus einer solchen Bewegung eine politische Partei entwickelt, wird die Zeit zeigen. Da wäre ich skeptisch. Ein-Thema-Bewegungen haben es später häufig schwer sich politisch zu organisieren, weil man mehr als ein Thema abdecken muss.
Ihr Parteikollege, Grossrat Martin Wernli, ist heute zurückgetreten. Laut eigenen Angaben aufgrund gesundheitlicher Beschwerden nach seiner Impfung. Mögliche gesundheitliche Auswirkungen der Impfung bereiten gewissen Menschen Sorge. Das muss man ernst nehmen.
Ich wünsche Grossrat Martin Wernli alles Gute. Ich habe erst heute mit ihm gesprochen. Er ist kein Impfgegner. Es handelt sich um eine Impfung, die enorm erfolgreich ist. Schwere Corona-Verläufe kann sie um bis zu 95 Prozent reduzieren. Das sehen sie in Spanien. Da hat man in den Spitälern kein Problem, weil sie eine hohe Impfquote haben. Es ist jedoch auch bekannt, dass es im Extremfall Impfschäden geben kann. Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen oder Fieber sind ja nicht dramatisch, Schäden sind aber ein Problem. Man muss dabei jedoch abschätzen, was schlimmer ist: Die Nebenwirkungen der Krankheit oder die der Impfung. Nach meiner persönlichen Analyse als Nichtspezialist hat die Impfung einen enormen Nutzen und sicher auch den einen oder anderen Nachteil, das streite ich nicht ab.
Zum Schluss noch etwas fernab von Corona. Im Amt als Gesundheitsdirektor waren sie seit Beginn eine Art «Krisen-Manager». Sehnen Sie sich nach anderen Aufgaben im Amt oder fühlen Sie sich wohl in dieser Position?
Es ist überhaupt nicht so, dass ich mich seit zwei Jahren nur auf die Pandemie in meinem Amt als Regierungsrat beschränke. Wir haben jedes Jahr rund 160 bis 170 Geschäfte, die mein Departement dem Regierungsrat unterbreitet. Dabei handelt es sich nur bei etwa 30 bis 40 um Covid-19-Geschäfte. Es ist wirklich kein einseitiger Beruf, trotz des Schwergewichts der Pandemiebekämpfung. Das Einzige was ich und meine Kollegen in der Regierung vermissen ist, dass es fast keine öffentlichen Anlässe mehr gibt und man nicht mehr viele Leute trifft. Das ist speziell. Aber einseitig ist mein Beruf nicht.
Auch im «TalkTäglich» wurde mit dem Aargauer Gesundheitsdirektor über Corona und ein mögliches Ende der Pandemie diskutiert. Den ganzen Talk kannst du hier nachschauen:
Quelle: TeleM1
(web/mbr)