Stimmrechtsalter 16

Jugendliche sollten über ihr Stimmrecht debattieren – aber niemand ging hin

· Online seit 14.03.2024, 21:31 Uhr
An den Aarauer Demokratietagen war eine Diskussionsveranstaltung zum Thema Stimmrechtsalter 16 vorgesehen. Wegen zu wenig Anmeldungen wurde sie aber abgesagt. Wollen Jugendliche denn gar nicht abstimmen? Was wären die Auswirkungen davon?
Anzeige

Im Aarauer Kultur- und Kongresshaus finden die Demokratietage des Zentrums für Demokratie (ZDA) statt, bereits zum 16. Mal. Als Auftakt hätte eigentlich eine Veranstaltung mit Schulklassen zum Thema Stimmrechtsalter 16 stattfinden sollen. Doch: Ausgerechnet dieser Anlass musste kurzfristig abgesagt werden – wegen zu wenig Anmeldungen, berichtet die «Aargauer Zeitung».

Interessiert sich die Jugend denn gar nicht für ihr Stimmrecht? Erst vor einem Jahr wurden in Aarau Unterschriften eingereicht für die Initiative für Stimmrechtsalter 16 im Kanton. Auch wenn der Nationalrat erst kürzlich eine solche Vorlage auf Bundesebene verworfen hat: Über eine Einführung des Stimm- und Wahlrechts für 16- und 17-Jährige zumindest im Aargau wird das Volk demnächst befinden.

Dass die Jugend generell politikverdrossen sein soll, wird seitens des ZDA auf Aufrage verneint. Keine Studie belege dies. «Wir gehen aber davon aus, dass das politische Interesse einer Person grösser wird, je älter sie wird», sagt Robin Gut vom ZDA. Dazu dürfte gerade die Möglichkeit, politisch mitbestimmen zu dürfen, das Interesse steigern.

Dafür gebe es wissenschaftliche Evidenz. Zum Beispiel aus Österreich, das als Land mit der Schweiz vergleichbar wäre: Dort würden sich die 16-Jährigen seit Einführung des Stimmrechts sogar mehr politisch beteiligen als die über 18-Jährigen, die wegen beruflicher Pflichten weniger Zeit dafür haben.

In Österreich profitierte die FPÖ – in der Schweiz die SVP?

Österreich gilt auch als interessantes Beispiel dafür, dass Jugendliche nicht per se links wählen, wie vielfach erwartet wird. Ausgerechnet die rechtspopulistische FPÖ, die 2007 als einzige Partei gegen die Anpassung des Wahlrechtsalters stimmte, könnte davon profitiert haben. Es liegt die Vermutung nahe, dass bei Jugendlichen die Polparteien mit ihren dezidierten Standpunkten mehr Wählende anziehen und die gemässigten Mitte-Parteien das Nachsehen haben.

In der Schweiz würden also theoretisch SP und SVP zulegen. Doch auch dazu gebe es wenig gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse, wie das ZDA sagt. Robin Gut relativiert ganz simpel: «Generell werden jene Parteien mehr junge Stimmen erhalten, die es schaffen, die jüngere Wählerschaft anzusprechen.»

In Schottland hätten die Konservativen vom Stimmalter 16 profitiert. In Deutschland hingegen wären es laut Studien am ehesten die Grünen: Bei den Landtagswahlen 2021 in Mecklenburg-Vorpommern hätte die CDU mit Wahlrechtsalter 16 einen Sitz verloren und die Grünen einen Sitz gewonnen. Bei der Stichwahl zum Bürgermeister von Marburg hätte wohl die Grünen-Kandidatin gewonnen und nicht der Kandidat der SPD.

Analog zu Österreich sind auch im Aargau nur SVP und JSVP gegen Stimmrechtsalter 16. Dies aber offenbar nicht aus politischem Kalkül, sondern aus Ideologie. Die Rechte war bisher immer dagegen, das Stimmrecht auf andere Gruppen auszuweiten – ob bei der Inklusion der Frauen oder zuletzt beim Stimmrecht für ausländische Personen.

«In der Schweiz dehnte sich das Stimmrecht in kleinen Schritten aus. Kantone und Gemeinden dienten dabei oft als Versuchslabors», erklärt das ZDA. Für das Frauenstimmrecht wie für das Stimmrechtsalter 18 brauchte es rund 50 kantonale und zwei nationale Volksabstimmungen. Zu Stimmrechtsalter 16 wurden bisher in acht Kantonen Abstimmungen abgelehnt. In sieben Kantonen sind aktuell Vorstösse dafür hängig.

Allenfalls Auswirkungen auf die Gemeindeversammlungen

Die Wissenschaft zeige, dass die Absenkung des Stimm- und Wahlrechtsalters auf 16 Jahre im Ausland insgesamt keine negativen Folgen hatte, stellt das ZDA klar. Und eine Einführung in der Schweiz würde auch nicht sehr viel ausmachen: Die 16- und 17-Jährigen stellen nur 2,4 Prozent der Stimmberechtigten. «Der Einfluss, den sie auf den Ausgang von Wahlen und Volksabstimmungen hätten, wäre somit klein.»

Noch nicht untersucht sind hingegen Auswirkungen auf die direkte Demokratie. Gerade an Gemeindeversammlungen machen nicht selten nur wenige Stimmen einen Unterschied. Erfahrungen gibt es bisher lediglich aus Glarus, wo 2007 Stimmrechtsalter 16 in den Landsgemeinden eingeführt wurde. Seitdem waren dort Themen wie autofreie Sonntage, das Verbot von Öl- und Gasheizungen oder weitere Klimaanliegen verstärkt traktandiert.

Jugendliche haben dort allenfalls die politische Agenda beeinflusst. Untersucht und bestätigt wurde dies aber noch nicht. «Aus wissenschaftlicher Sicht spricht nichts gegen die Einführung des Stimmrechtsalters 16», sagt das ZDA. Das neue Recht sollte aber «nicht im luftleeren Raum eingeführt werden». Es bräuchte Anpassungen der Lehrpläne und Investitionen in die politische Bildung.

Scan den QR-Code

Du willst keine News mehr verpassen? Hol dir die Today-App.

(Daniel Vizentini/Aargauer Zeitung)

veröffentlicht: 14. März 2024 21:31
aktualisiert: 14. März 2024 21:31
Quelle: ArgoviaToday

Anzeige
Anzeige
argoviatoday@chmedia.ch