Es ist ein sprunghafter Anstieg. Traten im Jahr 2022 noch 4'559 Personen aus der katholischen Landeskirche im Aargau aus, so waren es 2023 rund doppelt so viel: 9’075 Austritte verzeichnete die katholische Landeskirche im vergangenen Jahr, wie die «Aargauer Zeitung» schreibt. Das sind 4,59 Prozent der 197’728 Mitglieder.
Missbrauchsstudie hat grossen Einfluss
Die katholische Landeskirche spricht denn auch selber von einer regelrechten Austrittswelle, die ab September 2023 eingesetzt habe. Die Verantwortlichen führen die hohen Austrittszahlen auf die Missbrauchsstudie zurück, die Mitte September veröffentlicht wurde. Im Auftrag der römisch-katholischen Kirche untersuchten Historikerinnen und Historiker der Universität Zürich schweizweit die Kirchenarchive auf sexuelle Missbrauchsfälle. Die Studie konnte von 1950 bis heute 1002 Missbräuche nachweisen. Bei drei Viertel der Fällen handelte es sich dabei um Minderjährige. Die meisten Fälle wurden nicht aufgeklärt, sondern verschwiegen oder vertuscht.
«Was geschehen ist, darf nicht wieder geschehen», schreibt die Katholische Landeskirche denn auch in ihrer Mitteilung. In Kenntnis der der hohe Austrittszahlen begrüsse man die Studie als wichtigen und längst fälligen Schritt in Richtung Transparenz und Verantwortung für die vergangenen Taten. «Aufarbeitung der Vergangenheit und Massnahmen für die Zukunft stellen einen wichtigen Gesinnungswechsel dar und helfen der Römisch-Katholischen Kirche, sich zu verändern», schreiben die Verantwortlichen weiter.
Den Austritten stehen 161 Wiedereintritte und rund 1’000 Erstkommunionen gegenüber.
So viele Austritte aus der reformierten Landeskirche wie noch nie
Auch die reformierte Landeskirche verzeichnet einen Anstieg an Kirchenaustritten gegenüber dem Vorjahr – er fällt aber deutlich geringer aus als bei den Katholiken. 527 mehr Reformierte haben 2023 ihrer Kirche den Rücken gekehrt. Insgesamt verzeichnet die reformierte Landeskirche 4'892 Austritte, dies entspricht 3,5 Prozent aller Reformierten im Aargau. Dem höchste Wert an Austritten, den die reformierte Landeskirche je verzeichnet hatte, stehen 205 Eintritte gegenüber.
Die Austritte seien aber kaum auf die Missbrauchsstudie der katholischen Kirche zurückzuführen, schreibt die reformierte Landeskirche in einer Medienmitteilung von Freitagmorgen. In den Austrittsschreiben sei dieser Grund kaum genannt worden.
Dafür stellen die Verantwortlichen einen neuen Austrittsgrund fest, der 2023 erstmals und häufig genannt worden sei: Viele der Austretenden benötigen das Geld der Kirchensteuer dringend zum Bestreiten ihres Lebensunterhaltes. Die reformierte Kirche folgert daraus: «Das diakonische Engagement der Kirche bleibt angesichts der steigenden Armutszahlen wichtig.» Kirchenratspräsident Christoph Weber-Berg lässt sich wie folgt zitieren: «Die Kirchgemeinden und die Reformierte Landeskirche Aargau leisten Budgetberatung und Wegbegleitung in schwierigen Lebenssituationen.»
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(David Walgis/Aargauer Zeitung)