Fasnacht, Festival & Co.

Warum K.O.-Tropfen nicht nur ein weibliches Problem sind

· Online seit 25.02.2023, 16:33 Uhr
Vor allem in der Fasnachts- und Festivalzeit sind K.O.-Tropfen immer wieder Thema. Dabei werden oft Frauen darauf vorbereitet und sichtbar angesprochen, wie sie sich davor schützen können. Männer hingegen bleiben oft aussen vor. Dabei sind auch sie davon betroffen.
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K. O.-Tropfen sind während der Fasnacht und vor allem auch in der Festival-Saison immer wieder Thema. Dabei werden oft Frauen präventiv angesprochen und sensibilisiert, worauf sie im Ausgang achten müssen. Aber auch Männer können Opfer von Raub und Vergewaltigung im Zusammenhang mit K. O.-Tropfen werden. «Wir haben keine genauen Zahlen oder eine Statistik, die besagt, wie gross das Problem in der Schwulen-Community ist, es ist aber klar, dass es dort auch vorkommt», sagt Florian Vock, Leiter Prävention Aidshilfe Schweiz. «K. O.-Tropfen dienen dazu, Menschen gefügig zu machen, weil man fälschlicherweise denkt, man hätte einen Anspruch auf den Körper und die Sexualität eines anderen. Und das kommt auch in der Schwulen-Szene vor.» Also überall dort, wo Menschen ihre Macht ausüben wollen und andere missbrauchen wollen, fügt Vock an.

Wechselwirkung bei Alkoholeinnahme

Zu K.O.-Tropfen gehören typischerweise die Substanzen GHB und GBL. Diese wirken enthemmend, sind aber auch sehr schwer zum Dosieren. «Nur wenige Tropfen zu viel können tödlich sein», erläutert Vock. «Menschen sterben daran auch in der Schweiz.» Besonders in Kombination mit Alkohol sei die Substanz besonders gefährlich. «Wir raten allen, die GHB freiwillig konsumieren, dass sie das nicht in Zusammenhang mit Alkohol machen. Und wenn man das nun in einen fremden Drink mischt, ist das doppelt gefährlich.» Es sei einfach übergriffig, jemanden so gefügig machen zu wollen, meint er.

GHB ist zudem eine Substanz, die unter anderem in der Schwulen-Community auch genommen wird. «Sie wirkt sexuell enthemmend, daher wird GHB auch von einigen gerne genommen, aber stets kontrolliert. In dem Fall nehmen die Personen diese aber freiwillig ein und nicht wie bei K. O.-Tropfen unter Zwang oder sogar unwissentlich.» Jedoch müsse man hier auch darauf hinweisen, dass nicht jeder Mann unter Generalverdacht stehe und jede Geste als verdächtig eingestuft wird. «Sowohl Männer und Frauen sollen im Ausgang Spass haben und sich wohlfühlen. Aber wenn jemand verdächtig erscheint oder einem das Gefühl ‹Vorsicht!› vermittelt, dann darauf hören», rät Vock.

Männer holen sich seltener Hilfe 

Wenn K.O.-Tropfen eingesetzt werden, seien häufig Männer die Täter. «Und schwule Männer sind auch Männer, daher kann ich mir nicht vorstellen, dass es in der queeren Szene nicht eingesetzt wird», erklärt Florian Vock. Der grosse Unterschied ist allerdings, dass auch hier die Opfer Männer sind.

Viele Fälle werden jedoch nicht bekannt. Zum einen, weil es schwer nachweisbar ist und zum anderen haben Opfer oft Lücken und können sich nur noch schemenhaft erinnern. Bei Männern kommt noch ein weiterer Faktor dazu. Viele Männer können nur schwer anerkennen, dass sie Opfer von sexualisierter Gewalt geworden sind und holen sich daher entsprechend seltener Hilfe, sagt Vock. «Sie verdrängen eher, dass sie Opfer von Übergriffen und ihre Grenzen missachtet wurden.» Daher ist bei schwulen Opfern von einer sehr hohen Dunkelziffer auszugehen. «Jedoch betrifft das nicht nur Männer in queeren, sondern auch in heteronormativen Beziehungen», so Vock.

Hemmschwelle oft zu hoch

Dass Männer nicht immer Täter, sondern auch Opfer sein können, sei in unserer Gesellschaft und demnach bei den Männern noch nicht so angekommen. Viele schämen und trauen sich nicht, wenn ihnen sexualisierte Gewalt widerfährt, darüber zu reden.

Die Hemmschwelle, sich in so einem Fall an die Opferberatung zu wenden, sei oft zu hoch. Das bestätigt auch Susanne Nielen, Stellenleiterin Opferberatung Aargau. «Bei uns kommen recht wenig Meldungen von Männern rein.» Jedoch bietet sie unabhängig des Geschlechts für alle Opfer sexualisierter Gewalt ihre Unterstützung an. Die einen bräuchten mehr psychologische Hilfe, die anderen müssten rechtlich beraten werden. «Wir bieten allen eine individuelle Hilfe an», sagt Nielen.

Seit Januar bieten verschiedene Opferberatungsstellen gemeinsam einen anonymen Chat an, in dem Expertinnen und Experten mit Rat zur Seite stehen. Damit soll ein niederschwelliger Erstkontakt möglich sein. «So muss man nicht erst das Telefon in die Hand nehmen.» Dabei betont Nielen, dass jegliche Gespräche anonym bleiben. Dazu unterliegen die Mitarbeitenden einer strengen Schweigepflicht. «Wir dürfen nichts der Polizei weiterleiten oder Anzeige erstatten.»

Dazu kommt, dass sexualisierte Gewalt gegenüber Männern bisher wenig thematisiert wird – sowohl innerhalb der schwulen Szene als auch bei der Polizei oder im Gesundheitswesen. «Wir müssen dahin kommen, dass sich Hilfe holen keine Schwäche, sondern gesund ist», merkt Vock an. «Wir appellieren daher an die Männer, dass sie sich melden sollen und auch dürfen.»

veröffentlicht: 25. Februar 2023 16:33
aktualisiert: 25. Februar 2023 16:33
Quelle: ArgoviaToday

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