Sie sei am Morgen im Gefängnis von Mogiljow im Osten von Belarus geweckt worden, sagte die schweizerisch-belarussische Doppelbürgerin mit russischem Akzent am Freitagabend vor den Medien am Flughafen Zürich-Kloten. «Fünf Minuten zum Essen und fünf Minuten zum Anziehen», sei ihr gesagt worden. Danach wurde sie in die Hauptstadt Minsk gefahren.
Sie sei jetzt frei dank der Bemühungen der Schweizer Regierung. Und sie hoffe, dass die Schweiz sich auch für andere Menschen in den Gefängnissen von Belarus einsetzen werde. Das werde sie tun, bekräftigte Johannes Matyassy, stellvertretender Staatssekretär im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), der Hersche beim Ausstieg aus dem Flugzeug empfangen hatte.
Kein «Deal» zwischen Bern und Minsk
Es habe keinen «Deal» gegeben zwischen Belarus und der Schweiz für die Freilassung von Hersche, betonte Matayssy. Minsk habe keine Bedingungen gestellt, und die Freigelassene könne jederzeit nach Belarus einreisen.
Der Freilassung seien intensive und sich über fast eineinhalb Jahre dauernde Bemühungen des EDA und dessen Vorstehers Ignazio Cassis vorangegangen, hiess es in einer Mitteilung des Departements.
Seit Beginn ihrer Festnahme im September 2020 und ihrer Verurteilung zu zweieinhalb Jahren Haft seien die zuständigen Stellen in engem Kontakt mit Hersche, ihrer Familie und den Behörden in Belarus gewesen und hätten an möglichen Wegen gearbeitet, um eine Freilassung zu erwirken.
Das EDA hatte Botschafterin Christine Honegger Zolotukhin erst diesen Monat vor Ort entsandt. Bei Bekanntgabe der Neubesetzung des Botschafterpostens in Minsk hiess es beim EDA, man sei der Überzeugung, dass die Schweiz ihre Interessen mit einer Botschafterin vor Ort besser verteidigen könne als ohne Vertretung auf höchster Stufe.
Hersche wurde laut EDA in der Zeit ihrer Inhaftierung im Rahmen des konsularischen Schutzes betreut. Vertreter der Schweizerischen Botschaft in Minsk besuchten Hersche demnach 14 Mal.
Hersche hatte am 19. September 2020 in Minsk an einer Protestkundgebung gegen das Regime des Langzeit-Machthabers Alexander Lukaschenko teilgenommen und war verhaftet worden.
Folter durch Radio
Nach den manipulierten Wahlen vom August 2020 sind immer wieder Tausende auf die Strasse gegangen, und die Sicherheitskräfte haben brutal durchgegriffen, mehrere Menschen starben durch Misshandlung und Folter.
Auf eine Journalistenfrage am Flughafen Zürich-Kloten, ob sie in den belarussischen Gefängnissen gefoltert worden sei, sagte Hersche: «Den ganzen Tag über lief sehr laut das Radio in meiner Zelle – Musik, Nachrichten, Reden von Lukaschenko – alles. Erst abends um zehn hörte das auf.» Das sei ein grosser Stress gewesen.