Luftfahrt

Schweizer Pilotenverband warnt vor Automatisierungs-Plänen der Airlines

· Online seit 20.07.2023, 21:05 Uhr
Fluggesellschaften und Luftfahrtbehörden weltweit drängen darauf, dass Passagierflugzeuge von einem einzelnen Piloten oder einer einzelnen Pilotin geflogen werden dürfen. Die Technik soll eine zunehmende Automatisierung möglich machen. Schweizer Airlines sind offen für den Vorschlag, Piloten warnen davor.
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Egal ob es nach Mallorca geht oder nach Tokio – seit langem ist es in der kommerziellen Luftfahrt üblich, mindestens zwei Pilotinnen oder Piloten an Bord zu haben. In manchen Staaten, etwa den USA, ist das für die meisten Flüge sogar vorgeschrieben. Jetzt aber wird an der jahrzehntelangen Praxis gerüttelt. Fluggesellschaften und Aufsichtsbehörden drängen darauf, dass es nur noch einen Piloten im Cockpit von Passagierflugzeugen braucht.

Zwei Argumente sprechen aus Airline-Perspektive für das Ende der Zwei-Personen-Regel. Erstens könnte mit der Reduktion der Cockpit-Crew dem Mangel an Flugpersonal begegnet werden, der aktuell herrscht. Die Fluggesellschaft Swiss etwa schlug erst gerade Alarm, weil sie Mühe habe, qualifizierte Pilotinnen und Piloten zu finden.

Zweitens wird die Zwei-Piloten-Regel als Verursacherin von hohen Kosten wahrgenommen. Unter dem Druck steigender Preise hätten viele Airlines einen Anreiz, die Ausgaben für das Cockpit-Personal zu senken, berichtete die Nachrichtenagentur «Bloomberg» (Bezahlartikel).

Mehr als 40 Länder, darunter Deutschland, Grossbritannien und Neuseeland, sind beim Gremium der Vereinten Nationen, das für die Regeln in der Luftfahrt zuständig ist, vorstellig geworden. Sie wollen, dass Flüge mit nur einer Person im Cockpit zugelassen werden. Laut der Europäischen Agentur für Flugsicherheit könnte das schon 2027 Realität sein. Möglich mache das der technische Fortschritt.

Sparen auf Kosten der Sicherheit?

Die Pläne zur Reduktion der Cockpit-Crew folgen einem jahrzehntelangen Trend. In den 1950er-Jahren arbeiteten an Bord von Verkehrsflugzeugen in der Regel noch ein Captain, ein Erster Offizier als Co-Pilot, ein Flugingenieur, ein Navigator und ein Funker. Dank der technischen Entwicklung wurden die letzten drei Positionen nach und nach überflüssig. Übrig geblieben sind zwei oder auf Langstrecken drei Piloten.

Aeropers, der Verband der Swiss- und Edelweiss-Piloten, sieht diesen Trend zum Abbau der Crew kritisch. «Noch sind die technischen Mittel, um Pilotinnen und Piloten zu ersetzen, noch bei weitem nicht genügend ausgreift», sagt Aeropers-Vorstandsmitglied Janos Fazekas auf Anfrage der Today-Redaktion. «Im Moment sind wir klar der Meinung, dass die Flugsicherheit nur mit mindestens zwei Piloten im Cockpit gewährleistet werden kann.»

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Der Pilotenverband wirft den Airlines die Verschleierung ihrer wahren Absichten vor. «Die Befürworter der raschen Einführung des Ein-Personen-Cockpits schieben gerne besser ausgeruhte Pilotinnen und Piloten als Argument vor, da sich schliesslich immer einer der beiden Piloten ausruhen kann», kritisiert Fazekas. Dieses Argument täusche aber darüber hinweg, dass es sich hier um Sparmöglichkeiten auf Kosten der Flugsicherheit handle.

Technik muss alles können, was ein Pilot kann

Sicherheitsbedenken sind das grösste Hindernis einer weiteren Automatisierung im Cockpit. So ist beispielsweise nicht klar, was passieren würde, wenn der einzelne Pilot oder die einzelne Pilotin – aus welchen Gründen auch immer – nicht in der Lage wäre, das Flugzeug zu steuern. Die Technik an Bord und die Unterstützung vom Boden aus müssten dann die Expertise, die Erfahrung und die unmittelbare Reaktionsfähigkeit eines zweiten Piloten ersetzen.

Wäre nur noch eine Pilotin oder ein Pilot im Cockpit, dann müsste das Flugzeug umkonstruiert werden, heisst es bei Aeropers. Die Maschine müsste dann selbständig in der Lage sein, während mindestens 15 Minuten, oder bis der schlafende Pilot erwacht und wieder komplett einsatzbereit ist, alle möglichen Herausforderungen selbst zu lösen. Vom sicheren Landen bei Unwetter bis zum Löschen eines Brandes im Frachtraum.

Ein weiteres Problem zunehmender Automatisierung: Je mehr das Flugzeug selber mache, umso kleiner wird die Routine der Cockpitbesatzung. Damit werde der Sprung von der normalen Operation hin zur Bewältigung von problematischen Situationen noch grösser, warnt Janos Fazekas. Wenn Flugzeuge zum Beispiel irgendwann im normalen Betrieb ausschliesslich selber landen und der Pilot nur noch zuschaut, dann fehlt ihm womöglich die Übung, um im Notfall die Maschine manuell landen zu können.

Ohne Akzeptanz bei den Flugreisenden kaum umsetzbar

Aus Sicht der Fluggesellschaften bringt technischer Fortschritt nicht weniger, sondern mehr Sicherheit. Bereits heute profitiere die Sicherheit in der Luftfahrt von einem hohen Grad an Automation, sagt Philip Kristensen, Geschäftsführer des Dachverbands der schweizerischen Luft- und Raumfahrt Aerosuisse. Inwiefern sich dies auf die kommerzielle Luftfahrt übertragen lässt, hänge von den technischen Entwicklungen und den regulatorischen Rahmenbedingungen ab. «Sicherheit hat dabei oberste Priorität», betont Kristensen.

Wenn fortschreitende Automation mit einem Sicherheitsgewinn im Luftverkehr einhergehe, sei sie für Aerosuisse absolut begrüssens- und unterstützenswert. Entscheidend sei hierbei aber das Vertrauen der Passagierinnen und Passagiere in die Technik. Diese erwarten laut Philip Kristensen, dass Pilotinnen und Piloten sie fliegen. Ohne Akzeptanz bei den Flugreisenden sei eine Reduktion der Cockpit-Crews kaum umsetzbar.

Wie wichtig die Erfahrung von mehreren Piloten sein kann, haben verschiedene Vorfälle in der Vergangenheit gezeigt. Tragisch verlief der Air-France-Flug 447 von Rio de Janeiro nach Paris im Jahr 2009. In einer Höhe von über 10'000 Metern zeigten die Instrumente des Flugzeugs plötzlich falsche Geschwindigkeits-Daten an, vermutlich wegen Vereisung der Sensoren. Der Autopilot schaltete sich ab.

Die beiden Co-Piloten im Cockpit reagierten – mutmasslich aufgrund mangelnder Erfahrung – auf den Verlust der Geschwindigkeitsanzeige nicht mit der dafür vorgesehenen Prozedur. Einer der beiden zog die Maschine zu stark hoch, was einen Strömungsabriss zur Folge hatte. Der Captain ruhte sich gerade in der Kabine aus. Als er in das Cockpit zurückkehrte, konnte er die Maschine nicht mehr unter Kontrolle bringen. Das Flugzeug stürzte in den Atlantik, 228 Menschen kamen ums Leben.

veröffentlicht: 20. Juli 2023 21:05
aktualisiert: 20. Juli 2023 21:05
Quelle: Today-Zentralredaktion

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