Erfolgreicher Geschäftsmann an der Wall Street. Tierschützer. Sohn brasilianischer Einwanderer, die vor dem Holocaust geflohen sind. So präsentierte sich der Republikaner George Santos seinen Wählerinnen und Wählern im US-Bundesstaat New York – und überzeugte. «Santos will den amerikanischen Traum für alle», schrieb eine Regionalzeitung kurz vor den Zwischenwahlen über den Kandidaten.
Bei der Abstimmung im vergangenen November wurde der 34-Jährige schliesslich als Abgeordneter ins Repräsentantenhaus gewählt. Eine Erfolgsgeschichte. Dumm nur, dass an Santos Biografie so gut wie gar nichts stimmt. Die absurde Posse um den bis vor kurzen völlig unbekannten Politiker ist zum Problem für die Republikaner geworden.
Nach der gewonnenen Wahl veröffentlichte die «New York Times» im Dezember eine Recherche und kam zu dem Ergebnis: Universitätsabschluss, Karriere bei grossen Banken, familiärer Hintergrund – alles erfunden. Seitdem wirkt Santos wie ein Getriebener, wenn er von der Hauptstadtpresse im Kongress verfolgt wird und kritischen Fragen ausweicht.
Republikaner brauchen die Lachnummer
Für die grossen US-Komiker ist Santos ein gefundenes Fressen, der Abgeordnete ist mittlerweile eine Lachnummer. Doch von Rücktritt will Santos nichts hören. Auch die republikanische Führung im Repräsentantenhaus fordert das nicht. Denn gäbe der Hinterbänkler aus New York sein Mandat auf, könnte auch ihre Macht bröckeln.
Santos' Geschichte beschäftigt die USA seit Wochen – auch weil die Details so irrwitzig sind. Santos hat nicht nur eine Karriere erlogen, sondern sich auch bizarre Einzelheiten ausgedacht, die allesamt widerlegt worden sind.
So hat er behauptet, er sei während seiner Zeit an der Uni – an der er nie war – ein Volleyballstar gewesen. Bei der Attacke auf den Nachtclub Pulse im US-Bundesstaat Florida mit 49 Toten will er vier Mitarbeiter verloren haben. Über seine Mutter erzählte er, sie habe die Terroranschläge am 11. September 2001 im World Trade Center erlebt. Unterlagen der Einwanderungsbehörde zeigen allerdings, dass sie zu dem Zeitpunkt überhaupt nicht in den USA war. Auch für die Fluchtgeschichte seiner Grosseltern vor den Nazis gibt es keine Belege.
«Ich bin kein Betrüger. Ich bin kein Schwindler»
Santos hat mittlerweile eingeräumt, seinen Lebenslauf «beschönigt» zu haben. «Ich bin kein Betrüger. Ich bin kein Schwindler», beharrte er aber in einem TV-Interview. Erklären kann er aber all die erfundenen Geschichten nicht. Zwar ist es in den USA durchaus üblich, ein bisschen dicker aufzutragen. Doch Santos tut mehr als das – daher drohen dem 34-Jährigen nun rechtliche Konsequenzen.
Ermittler untersuchen bereits mehrere Ungereimtheiten. So kann Santos nicht erklären, wo 700‹000 US-Dollar herkamen, mit denen er seinen Wahlkampf finanziert hat. Angeblich soll das Geld aus seinem privaten Vermögen kommen. Das deckt sich aber nicht mit den Summen, die er als sein Einkommen angegeben hat. Medienberichten zufolge haben Santos› Finanzen mittlerweile das Justizministerium auf den Plan gerufen.
Diese komplexen Ermittlungen könnten sich in die Länge ziehen. Nicht zuletzt deswegen dürfte sich die Justiz nun auch eine viel banalere Geschichte genauer anschauen – dem 34-Jährigen könnte ein kranker Hund zum Verhängnis werden. Ermittler gehen Berichten zufolge Vorwürfen nach, wonach Santos Geld veruntreut haben soll, das er für den kranken Hund eines Marine-Veteranen im Internet gesammelt hatte.
Rücktritt ist für Santos kein Thema
Mittlerweile soll sich gar das FBI eingeschaltet haben. Konkret geht es um rund 3000 US-Dollar, die Santos 2016 für den obdachlosen Veteranen online zusammengetragen haben soll, um eine lebensrettende Operation für dessen todkrankes Tier zu bezahlen. Der Vorwurf lautet, dass Santos sich mit dem Geld aus dem Staub gemacht hat.
Umfragen zufolge spricht sich die grosse Mehrheit der Wählerinnen und Wähler in seinem Wahlkreis für einen Rücktritt des Republikaners aus. Darauf angesprochen, reagierte Santos unbeeindruckt: «Ich habe keine Umfrage in Auftrag gegeben. Ich spreche daher nicht über eine Umfrage, die ich nicht bestellt habe.»
Von der Kongress-Presse zu der Geschichte über seine Mutter befragt, antwortet er nur: «Es ist sehr unsensibel, dass Sie immer wieder meine verstorbene Mutter erwähnen.» Eine Konsequenz hat Santos aber gezogen. Zumindest vorübergehend lässt er seine beiden Ausschussposten im Kongress ruhen.
Auch wenn der Druck wächst, einer ist Santos bisher nicht in den Rücken gefallen: der frisch gewählte Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy. Er stehe hinter ihm, weil die Menschen in seinem Wahlkreis Santos gewählt haben, sagte der Republikaner. Eine rote Linie zog er allerdings: Ein Rücktritt sei notwendig, wenn nachgewiesen werde, dass Santos das Gesetz gebrochen habe. Dass McCarthy noch zu Santos hält, dürfte einen einfachen Grund haben: die hauchdünne Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus.
(sda/osc)