Krieg in der Ukraine

Russlandexperte Ulrich Schmid: «Es gibt nichts mehr, das Putin stoppt»

24.02.2022, 18:28 Uhr
· Online seit 24.02.2022, 16:44 Uhr
Der Krieg in Europa ist Realität. Doch was sind die Hintergründe für das Handeln des russischen Machthabers Wladimir Putin? Russlandexperte und HSG-Professor Ulrich Schmid erklärt im Interview die Ziele und Schwachpunkte in Putins Kriegsplan.
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Russland greift seit Donnerstagmorgen die Ukraine an. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?

Ulrich Schmid: Ich bin absolut konsterniert und entsetzt. Das ist ein Bruch mit allen völkerrechtlichen Verpflichtungen, die auch Russland selbst eingegangen ist. Es ist ein Bruch verschiedener Verträge, ein Bruch der Prinzipien der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Diese legen fest, dass Konflikte in Europa nicht militärisch gelöst werden.

Quelle: tvo

Wie begründet Wladimir Putin sein Verhalten?

Er sagt, er wolle die historische Tradition Russlands wiederherstellen. Er hat für den russischen Überfall eine absolut absurde Begründung abgelegt. Er meint, die Ukraine sei von der Nato durchdrungen und plane einen Angriff auf Russland, weshalb sich das Land nun schützen müsse. Das ist natürlich ein komplett absurder Vorwurf.

Er missinterpretiert die Geschichte. Kommt er damit durch?

Das ist die grosse Frage. Die russische Propagandamaschinerie der Staatsmedien hat diese politischen Move vorbereitet. Ich glaube aber nicht, dass Putin seine Bevölkerung mit dem Narrativ einer tausendjährigen Staatlichkeit Russlands, welche sich von Kiew herleitet und nun auch seine eigene Herrschaft in Moskau legitimiert, überzeugen kann.

Putin selbst stellt sich gerne als Retter der Ukraine dar. Was will er damit erreichen?

Er will die imperialen Ambitionen Russlands befriedigen. Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass Putin nur das rettet, was er selbst zerstört hat. Die Situation, welche seit 2014 in der Ostukraine herrscht, ist ein Resultat einer verdeckten Militäroperation Russlands.

Ist Putin noch zu stoppen?

Putin hat den Rubikon überschritten. Es gibt nichts mehr, das ihn nun stoppt. Ob er einen weiteren Teil der Ukraine besetzen will, ist nun die grosse Frage. Es gibt einen Warlord aus den kriegerischen Ereignissen von 2014, der gesagt hat, dass es für jeden Soldaten der russischen Armee zehn Sicherheitsleute brauche, um die Besatzung sicherzustellen. Putin muss sich auf einen Partisanenkrieg einstellen in der Ukraine.

Gibt es einen militärischen Gegenschlag aus Europa?

Das ist ausgeschlossen und das ist auch wichtig. Die Nato und die USA haben im Vorfeld ausgeschlossen, dass es zu einer direkten Konfrontation kommen wird. Ich glaube also nicht, dass uns ein neuer Weltkrieg droht.

Viele Länder haben Sanktionen gegen Russland verhängt, welche bis anhin aber wirkungslos geblieben sind. Gibt es Sanktionen, die Russland wirklich schmerzen?

Die EU und die USA haben einen ganzen Katalog an Sanktionen angekündigt. Der Kreml kennt das Preisschild für sein Handeln. Viel schlimmer sind aber die Sanktionen, welche der Markt verhängt. Die russische Börse ist komplett abgesackt. Auch der Rubel-Kurs ist ins Bodenlose gefallen. Es wird entscheidend sein, ob die russische Bevölkerung angesichts solcher wirtschaftlicher Entwicklungen gleichgültig bleiben wird.

Durch seine Aktionen trennt sich Putin noch mehr von der westlichen Welt. Was wird das für Auswirkungen haben?

Russland wird keinen Freund mehr haben. Bisher hat sich nur Iran an die Seite Russlands gestellt. China blieb bislang sehr zurückhaltend, da China ein ähnliches Problem hat. China will irgendwann auch Taiwan zurückholen. Deshalb hält man sich dort mit Kritik an Russland zurück.

(mau/dab)

veröffentlicht: 24. Februar 2022 16:44
aktualisiert: 24. Februar 2022 18:28
Quelle: FM1Today

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