Payton Gendron, der am Samstagabend in einem Supermarkt in Buffalo (New York) mit höchster Wahrscheinlichkeit zehn Menschen umbrachte und drei weitere verletzte, ist erst 18 Jahre alt. Was treibt einen 18-Jährigen überhaupt dazu, eine solch abscheuliche Tat zu begehen? Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, müssen die Ermittler nicht allzu grosse Forschungen anstellen. Gendron liefert die Antworten gleich selbst – in einem 180-seitigen Manifest, welches er zwei Tage vor der Tat, am Donnerstag, in PDF-Format auf Google Docs hochlud.
Radikalisierung fand online statt – doch das ist nur die halbe Wahrheit
Darin beschreibt Gendron einerseits, dass er ab Mai 2020 radikalisiert wurde: Aus «reiner Langeweile» während des Corona-Lockdowns habe er begonnen, auf der Internetseite «4chan» rassistische und rechtsextreme Inhalte zu konsumieren, darunter auch blosse Memes. Vorher habe er dies zu keinem Zeitpunkt getan. Im Manifest schreibt Gendron dazu:
Apropos «4chan»: Der Journalist Marko Kovic von der «Republik» hat sich eine Woche lang in die Abgründe dieser Seite begeben und seine Erfahrungen eindrücklich festgehalten.
Gendron betont, dass seine Radikalisierung fast ausschiesslich online geschehen sei und niemand aus seinem Umfeld Einfluss darauf genommen habe. Und doch lässt sich zumindest ein Teil seines rassistischen Gedankenguts indirekt auf eine bestimmte Person zurückführen: Auf den US-amerikanischen Nachrichtensprecher Tucker Carlson (53).
Bei weisser Person entschuldigte er sich
Dieser predigt auf dem Sender «Fox News» höchst fragwürdige Rassentheorien, darunter eine namens «The Great Replacement» («Der grosse Austausch») – und diese wird von Gendron in seinem Manifest explizit erwähnt. Die Theorie besagt, dass Weisse in Amerika im Rahmen einer ausgeklügelten jüdischen Verschwörungstheorie durch Nicht-Weisse «ersetzt» würden.
Im folgenden Video erklärt Carlson die Austausch-Theorie auf «Fox News» anhand eines etwas schrägen Beispiels (auf englisch):
Payton Gendron wollte diesem «Ersetzt-werden» ganz offensichtlich entgegenwirken. Tatsächlich berichten Menschen, die seine Tat auf dem Streamingdienst Twitch verfolgten – ja, Gendron hatte eine Kamera an und filmte alles – dass er weisse Personen so gut als möglich zu verschonen versuchte. So habe er einem weissen Mann, der am Boden des Supermarkts lag, «Sorry» gesagt und die Waffe von ihm weggerichtet.
Unfortunately, I watched the video of the Livestream Payton Gendron did. It was fucking sickening, at one point he spared a white person & even apologized for pointing a gun at them.
— Alicia Smith 💙🌊🌊 #FBR (@AliciaSmith987) May 15, 2022
I just can't...#PaytonGendron #GunControlNow #FreshWords
Gendron macht keinen Hehl aus Gesinnung
Dass Gendron ausgerechnet die Stadt Buffalo für seine Tat auswählte, ist ein weiteres Indiz für seinen Rassismus. Der 18-Jährige lebte nämlich in der Stadt Conklin, rund 300 Kilometer weiter südlich. Laut seinem Manifest weise Buffalo aber «den grössten prozentualen Anteil schwarzer Menschen in der Bevölkerung» auf. Ob er sich dabei auf den Bundesstaat New York oder gar auf die ganzen Vereinigten Staaten bezieht, lässt Gendron offen.
Nichtsdestotrotz lässt die Tat keine zwei Meinungen zu: sie war rassistisch motiviert. Andere weisse Rechtsextreme, Waffennarren, Carlson – sie werden den Täter nicht in Schutz nehmen, die Tat herunterreden oder vom Vorwurf des Rassismus ablenken können. Denn falls es noch letzte Zweifel an Gendrons Alibi gegeben hätte, so hat dieser sie auf Seite 7 des Manifests, in einem Frage-Antwort-Teil, gleich selbst aus der Welt geschaffen:
Nun ist der 18-Jährige in Untersuchungshaft. Er ist noch nicht einmal alt genug, um in den USA ein Bier kaufen zu dürfen, und dennoch stehen die Chancen schlecht, dass Gendron je wieder auf freiem Fuss sein wird: Dem Schützen von Buffalo droht eine lebenslängliche Freiheitsstrafe ohne Möglichkeit auf eine vorzeitige Entlassung.