Onlinebetrug

Chef Cybercrime: «Seien Sie vorsichtig, Sie machen sich strafbar!»

· Online seit 27.03.2022, 11:29 Uhr
Lorenz Kilchenmann ist Chef Cybercrime bei der Aargauer Staatsanwaltschaft. Er bearbeitet täglich Straffälle, welche im digitalen Raum stattfinden. Seine Realität: Täglich wird im Internet betrogen – und das im grossen Stil und mit immer neuen Tricks.
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Betrugsmaschen mit Kleinanzeigen auf Online-Plattformen haben derzeit im Aargau Hochkonjunktur. ArgoviaToday berichtete. Dabei überweisen Käufer für ein Produkt auf dem Marketplace von Facebook Geld an einen vermeintlichen Verkäufer, erhalten das Produkt aber nie. Bei der Aargauer Staatsanwaltschaft beobachtet man neuerdings auch das Gegenteil, die Verkäufer werden betrogen – und das um mehrere 10'000 Franken. ArgoviaToday konnte mit Lorenz Kilchenmann, Chef Cybercrime bei der Aargauer Staatsanwaltschaft, darüber sprechen. Anhand eines realen Falles erklärt er, wie die Masche funktioniert, wo das Geld gewaschen wird und warum die meisten Fälle nicht abschliessend geklärt werden können.

Lorenz Kilchenmann, können Sie die Betrugsmasche, bei der Verkäufer auf Online-Verkaufsplattformen abgezockt werden, anhand eines Beispiels genauer erklären?

Wir hatten neulich den Fall, dass eine Mutter ein Kinderbett für 300 Franken verkaufen wollte. Sie inserierte also dieses Bett online mit der Hoffnung, dass sie dafür einen Käufer findet. Weil Kinderbetten auf solchen Plattformen offenbar nicht sehr gefragt sind, freute sich die Frau umso mehr, dass sich doch jemand auf das Inserat meldete. Diese Person zeigte sich dann auch generös, sagte, dass sie das Bett unbedingt haben wolle. Nachdem der Kauf besprochen wurde, kam dann vom Käufer eine Meldung, dass er in Frankreich wohne und das Bett mit dem Lieferdienst DHL abgeholt werde. Bei solchen Lieferdiensten ist gemäss Käufer die gängige Praxis, dass der Verkäufer die Transportkosten vorauszahlen muss. Die Frau war dann etwas verwirrt, erhielt jedoch noch am selben Tag eine gefälschte Mail mit einem DHL-Absender. Weil sie dachte, dass es sich um eine echte Mail handelt, löste sie die Zahlung für die Transportkosten aus. Natürlich versprach der vermeintliche Käufer, dass sie diese Kosten wieder zurückerhalten werde.

Wie kam es so weit, dass diese Frau am Schluss über 30'000 Franken bezahlte?

Diese Frau wurde je länger je mehr unter Druck gesetzt – zuerst mit weiteren, falschen DHL-Mails, später dann mit gefälschten Zollforderungen, welche sie als Verkäuferin ebenfalls im Voraus bezahlen müsse. Heutzutage ist es ein Leichtes, solche Mails zu fälschen. Und diese Täter gehen damit sehr geschickt um. Weil die Frau ihr Bett aber unbedingt verkaufen wollte, bezahlte sie auch diese Zollkosten. Als sie den Verkauf später abbrechen wollte, kamen dann plötzlich noch Drohungen mit Strafverfahren und Europol, weil sie nicht alle geforderten Beträge bezahlte. In diesem Fall erhielt sie einen falschen Zeitungsbericht über Europol, das angeblich Jagd auf Personen macht, die Zollgebühren und Transportkosten nicht bezahlen. Weil die Frau dadurch eingeschüchtert war, bezahlte sie alle Forderungen. Und so wurden aus 300 Franken, welche die Verkäuferin eigentlich für ihr Kinderbett verlangte, 30'000 Franken, die sie vorauszahlte. Gleichzeitig war sie immer noch im Besitz des Betts.

Wohin ist dieses Geld dann geflossen?

Dieses Geld wurde auf verschiedene ausländische Konten transferiert. Die Betrüger können für den angeblichen Transport per DHL oder die Zollforderungen jeweils ein anderes Konto angeben. Und so wurde das Geld an insgesamt zehn Empfänger verteilt. Dieser Umstand macht es für die Staatsanwaltschaft beinahe unmöglich, das Geld wieder zurückzufordern.

Sie versuchen es aber?

Diese einzelnen Überweisungen waren immer relativ klein, in der Summe kam aber eben ein beträchtlicher Betrag zusammen. Wenn wir diese vielen kleinen Beträge nachverfolgen wollen, müssen wir im Ausland ein Rechtshilfegesuch einreichen. Wenn wir das beispielsweise in Frankreich oder Italien machen, dann wird diese Anfrage nicht wirklich mit Priorität behandelt, eben weil es sich um kleine Beträge handelt.

Es lohnt sich für die Staatsanwaltschaft also nicht, diesen Aufwand für kleinere Beträge zu betreiben?

Das kommt auf den Einzelfall an. In den meisten Fällen versuchen wir, etwas zu bewirken. Wir haben zwar nicht die Illusion, dass wir diese Gelder zurückerhalten, wollen so aber die Betrugsnetzwerke stören.

Das müssen Sie erklären.

Hinter der Betrugsmasche steckt ein hochprofessionelles und gut organisiertes Netzwerk. Schon allein durch unsere Anfragen bei den ausländischen Behörden bewirken wir, dass die Konten gesperrt werden müssen. Die Personen dahinter – sogenannte Money Mules – werden in diesem Land dann mit Problemen konfrontiert. Und so erschweren wir dem kriminellen Netzwerk, weitere Betrügereien mit diesen Konten abzuwickeln, weil sie eben ein neues System von Money Mules aufbauen müssen. Wo es nur geht, versuchen wir als Strafverfolgungsbehörde, den Tätern einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

Man kann der Täterschaft also Steine in den Weg legen, das Geld kommt aber nicht zurück?

In den allermeisten Fällen nicht. Bei solchen Betrugsdelikten muss man zwischen zwei Dingen unterscheiden: Auf der einen Seite stehen eben diese Money Mules, auf der anderen die Betrüger selbst. Diese beiden Netzwerke sind komplett voneinander getrennt. Personen, denen die Konten gehören, wo Betrugsgelder transferiert werden, haben mit den Betrügern selbst nichts zu tun. Die Money Mules haben also gar keine Informationen über das Betrugsnetzwerk, die werden auf einem völlig anderen Weg rekrutiert. Ganz am Schluss finden diese beiden Netzwerke dann wieder zusammen. Bis dahin ist die Spur des Geldes aber schon lange verloren, weil die Wege dazwischen komplett unabhängig voneinander funktionieren. Durch unsere Arbeit müssen die Betrüger aber eben immer wieder neue Personen für das Money-Mule-System rekrutieren.

Es gibt aber Beispiele, bei denen Personen aus der Schweiz ein Teil dieses Money-Mule-Netzwerkes sind. Können Sie da als Staatsanwaltschaft nicht Gelder zurückfordern?

Doch, diese Personen erwischen wir regelmässig und können sie auch bestrafen. Sobald diese das Geld aber ins Ausland transferieren, sind wir als Strafverfolgungsbehörde zu langsam. Mit dem heutigen Digital-Banking können Schweizer Personen, welche als Money Mule fungieren, das erhaltene Geld innert Sekunden auf ein ausländisches Bankkonto überweisen. Wenn wir dann ein Rechtshilfegesuch ins Ausland stellen, dauert allein der Postweg beispielsweise nach England drei Wochen. Bis wir dann Einsicht ins ausländische Konto erhalten, sind die Gelder bereits weiter transferiert worden.

Wenn ein Schweizer Konto zu einem solchen Money-Mule-Netzwerk gehört, wissen die Konto-Inhaber in der Regel Bescheid, dass sie sich strafbar machen?

In der Schweiz geben Personen ihre Kontonummer zum Beispiel im Rahmen von Love Scams an. Eine Person aus der Schweiz verliebt sich dabei über das Internet auf einer Dating-Plattform. Die neue Online-Liebschaft behauptet dann, sie mache in der Schweiz legale Geschäfte und bittet um Hilfe bei der Weiterleitung von Geldern. Aber auch Jobangebote werden von den Betrügern als Rekrutierungsmöglichkeit für das Money-Mule-Netzwerk missbraucht. Es wird dann gesagt, dass man Geld auf sein eigenes Konto erhält, welches man einfach weiterleiten soll. Wenn sie sich dann wegen Geldwäscherei strafbar machen, gibt es Leute, die sich wirklich überrascht zeigen und nicht kapiert haben, dass sie Teil eines internationalen Money-Mule-Netzwerks wurden. Meiner Meinung nach wissen die meisten Personen im Innern aber schon, dass es nicht so einfach sein kann, Geld zu verdienen. Deshalb mein Appell: Seien Sie vorsichtig bei solchen Angeboten, Sie machen sich strafbar!

Lorenz Kilchenmann, Sie haben jetzt sehr detailliert dieses System der Money Mules erklärt. Wer aber sind dann die eigentlichen Betrüger?

Betrüger im Aargau haben wir selten. Bei diesen Online-Betrügern handelt es sich meistens um absolut professionell organisierte Banden aus dem Ausland. Wir können die Spuren dieser Banden anhand der Datenspuren oftmals bis nach Osteuropa oder Afrika zurückverfolgen. Dort sind ganze Gruppierungen oder Büros, die nichts anderes machen, als den ganzen Tag Kleinanzeigen auf Online-Plattformen zu schalten oder eben Verkäufer auf diesen Plattformen zu kontaktieren. Mit den heutigen Übersetzungs-Tools ist das kein Problem mehr. Über das Money-Mule-Netzwerk, welches vorgängig rekrutiert wurde, werden dann die Zahlungen abgewickelt. So kann die Täterschaft dann eben Kontodaten aus der Schweiz für den Betrug angeben. Der eigentliche Betrug findet also aus dem Ausland statt, während das Geld durch dieses Money-Mule-Netzwerk fliesst. Verfolgen wir dann diese Gelder, versandet die Spur oftmals in Osteuropa oder Afrika.

Wenn Sie so erzählen, tönt Ihr Job doch recht entmutigend.

Das ist das Schicksal der Cyber-Strafverfolger. Es ist unsere Aufgabe und Verpflichtung, dass wir bei diesen Fällen dranbleiben. Aber ja, man darf keine falschen Erwartungen haben. Wir können nicht wie im Strassenverkehr einfach einen Blitzer an einer Strasse aufstellen und so systematisch alle Betrüger erfassen. Aber wir bleiben dran, auch wenn wir die Täter selten vor Gericht bringen. Ausserdem verfolgen wir im Bereich Cybercrime auch viele andere Straftaten und dort ist die Erfolgsquote wesentlich höher.

Der Aufwand ist trotzdem gross…

Deshalb können wir nicht jeden Fall mit allen uns verfügbaren Mitteln bearbeiten. Wir picken uns aber immer wieder Einzelfälle heraus, wo uns eine neue Masche auffällt. Nichts machen ist keine Option. Wenn die Betrüger nicht mal mehr ihre Money-Mule-Netzwerke austauschen müssten, dann wären der Aargau, die Schweiz und grosse Teile Europas ein Schlaraffenland für Betrugsmaschen.

veröffentlicht: 27. März 2022 11:29
aktualisiert: 27. März 2022 11:29
Quelle: ArgoviaToday

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