Aargau/Solothurn

Politologe: «Es spricht wenig gegen Stimmrechtsalter 16»

Initiative im Aargau

Politologe: «Es spricht wenig gegen Stimmrechtsalter 16»

08.02.2022, 09:07 Uhr
· Online seit 07.02.2022, 15:01 Uhr
Im Kanton Aargau sollen bald auch 16-Jährige abstimmen und wählen können. So will es eine Initiative mehrerer Jungparteien, die heute lanciert wird. Was spricht für die Senkung des Stimmrechtsalters und was dagegen? Wir haben beim Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) nachgefragt.
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Ob Klimawandel oder Corona-Politik – junge Menschen sind sind von vielen politischen Entscheiden betroffen, können selber aber keinen Einfluss nehmen. Bei dieser Argumentation setzt die Initiative «Stimmrecht 16 im Aargau» an. «Die letzten Jahre mit Klimastreiks oder der Corona-Bewegung Massvoll haben gezeigt, dass viele Jugendliche politisch interessiert sind. Die Zeit ist reif», sagt Peter Weihrauch, Co-Präsident von den Jungen Grünen Aargau und Mitinitiant. Konkret will die Initiative, dass Personen ab 16 Jahren das passive Stimmrecht erhalten. Sie dürften auf kantonaler Ebene also wählen und abstimmen, selber aber nicht für ein politisches Amt kandidieren.

Gar keinen Gefallen an dieser Idee findet die Junge SVP, die die Gegenkampagne «Nein zum Stimmrechtsalter 16 im Aargau» lancierte. Präsident Samuel Hasler sagt: «Es macht keinen Sinn, Rechte und Pflichten aufzusplitten. Ein 16-jähriger dürfte dann wählen oder abstimmen, selber kann er aber nicht gewählt werden, kann auch keine Verträge abschliessen und ist noch im Jugendstrafrecht geschützt.» Die Folge wäre also, dass die 16-Jährigen selber mitbestimmen könnten, aber nicht die vollen Folgen der Urnen-Entscheide tragen würden, so die Gegner der Initiative.

Der Kanton Glarus machts vor

Ein Blick in andere Europäische Länder zeigt: Stimmrechtsalter 16 ist keine Seltenheit. So können etwa 16-jährige in Österreich, Griechenland und einigen skandinavischen Ländern auf nationaler Ebene mitbestimmen. Auch in der Schweiz kam in den letzten Jahren mehr Schwung in die Thematik. In verschiedenen Kantonen sind entsprechende Vorstösse hängig, der Kanton Uri lehnte im Herbst eine Initiative für das frühere Stimmrecht an der Urne ab. Bereits im Frühling hatte sich auch der Aargauer Grosse Rat gegen eine Senkung des Stimmrechtsalters gestellt.

Vorreiterkanton ist Glarus, wo 16-jährige seit 2007 auf kommunaler und kantonaler Ebene mitbestimmen können. Auswertungen des Zentrums für Demokratie Aarau zeigen: 16- und 17-Jährige Glarnerinnen und Glarner nehmen im Vergleich zu anderen Altersgruppen eher unterdurchschnittlich am politischen Leben Teil. Und doch sagt Studienautor und Politologe Daniel Kübler: «Das Beispiel des Kantons Glarus zeigt sehr gut, dass es aus pragmatischer Sicht keinen Nachteil gibt, wenn das Stimmrechtsalter gesenkt wird.» Zwar hätten sich die grossen Hoffnungen, die Jugend stärker zu politisieren nicht erfüllt, doch gravierende Schäden seien auch nicht aufgetreten.

Politische Sozialisation als Chance

Laut Kübler zeigen Studien, dass man bereits vor dem 16. Lebensjahr politisch sozialisiert wird. «Wenn man diese jungen Leute da bereits abholt, könnte dies einen positiven Einfluss auf die spätere Teilnahme am politischen Leben haben.» Hinzu komme, dass aktuelle Entscheide auch Junge betreffen, die im Moment aber von politischen Entscheiden ausgeschlossen sind.

Im demokratischen Sinne wäre es grundsätzlich wünschenswert, wenn so viele Menschen wie möglich ein Mitbestimmungsrecht hätten. Zudem lasse sich feststellen, sagt Kübler, dass zwei Jahre Altersunterschied nur wenig Einfluss hätten: «Politisches Verhalten von 16-Jährigen unterscheidet sich kaum von dem der 18-Jährigen.»

Unzureichende politische Bildung in der Schweiz?

Der Politologe des Zentrums für Demokratie Aarau ortet aber auch Nachteile beim tieferen Stimmrechtsalter. Das Hauptproblem ist die politische Bildung. Politische Instrumente, Prozesse und Vorlagen sind häufig komplex und schwer zu verstehen. Wer die Abläufe schlecht kennt, läuft auch eher Gefahr, manipuliert zu werden oder auf Propaganda hereinzufallen. «Das eigene Urteilsvermögen ist also wichtig. Und da kann man sich schon fragen, ob die Jungen mit ihrer schulischen und politischen Bildung in der Schweiz das nötige Rüstzeug dafür mitbringen, selber eine stabile Meinung zu bilden.»

Jedoch gibt Kübler den Initianten der Initiative «Stimmrecht 16 im Aargau» recht, dass Bewegungen wie die Klimajugend durchaus das Potential haben, Junge zu politisieren. Und gleichzeitig zeige das aktuelle Abstimmungsverhalten, dass Junge durchaus nicht nur für schärfere Klimapolitik oder weniger restriktive Corona-Massnahmen stimmen. Die Präferenzen seien, wie in den anderen Altersgruppen, ganz unterschiedlich verteilt. «Es würde vermutlich an den politischen Inhalten also nicht viel ändern, wenn das Stimmrechtsalter gesenkt würde. Es würde aber dafür sorgen, dass die politische Gemeinschaft wächst und auch 16- und 17-Jährige umfasst. Insofern spricht nur sehr wenig gegen die Senkung des Stimmrechtsalters.»

Die Initianten von «Stimmrecht 16 im Aargau» haben nun ein Jahr Zeit, um die für kantonale Volksinitiativen nötigen 3000 Unterschriften zu sammeln. Kommt die Initiative zu Stande, wird vermutlich die Aargauer Bevölkerung an der Urne darüber entscheiden können.

veröffentlicht: 7. Februar 2022 15:01
aktualisiert: 8. Februar 2022 09:07
Quelle: ArgoviaToday

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