Sexualkunde im Aargau

«Von Homosexualität steht nichts im Lehrmittel»

12.02.2024, 06:25 Uhr
· Online seit 12.02.2024, 06:21 Uhr
In den letzten Jahren hat sich im Bereich Sex-Positivity so einiges getan. Dass wir über Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit sprechen, ist im Alltag selbstverständlich. Und doch steht von all dem kaum was in den Lehrmitteln, mit welchen an Aargauer Schulen unterrichtet wird.
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Ein Kondom über eine Banane ziehen oder eine Truhe voller Stoffpenisse. Vor 20, 30, 40 Jahren war das ein moderner Sexualkundeunterricht. In vielen Fällen wurde allerdings so wenig wie möglich über Sex gesprochen. Aufgeklärt wurden viele Jugendliche durch die «Bravo».

Ein moderner Aufklärungsunterricht

Das dürfe heute nicht mehr so sein, erklärt Michael Ganz, Vertreter von «Seges», der Fachstelle für Sexualität im Aargau. «Viele Schulen haben mittlerweile ein Präventionskonzept für verschiedene Themen. Sexualität ist eines davon.» Schülerinnen und Schüler sollen laut Lehrplan lernen, mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen in Bezug auf die Sexualität umzugehen.

«Wir versuchen uns damit zu befassen und die Kinder darauf zu sensibilisieren», erklärt Rahel Märki, Mitteilstufenlehrerin in Würenlos. Bereits bei 6.-Klässlerinnen und 6.-Klässler spricht sie das Thema im Unterricht an. «Am Anfang sind sie ein bisschen peinlich berührt, unsicher und verlegen. Aber am Schluss kann ich immer sagen, dass die Kinder Spass hatten.» Da in Würenlos die Themen Sexualität, Körper und Verhütung in der Oberstufe erneut behandelt werden, hat Rahel Märki die Zeit, sich auf die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Klasse einzulassen.

In diesem Alter haben die Schülerinnen und Schüler oftmals noch nicht viel Interesse an den verschiedenen Sexpraktiken oder daran, welche Verhütungsmittel es ausser dem Kondom noch gibt. Die Pubertät dagegen beschäftigt die angehenden Teenager täglich. «In diesem Alter müssen sie sich damit auseinandersetzen», so Rahel Märki.

Für Marco Gsell, Mensch und Technik Lehrer in Seon, ist das Wichtigste am Sexualkundeunterricht das Tabu zu brechen. «Ich möchte es den Schülern und Schülerinnen so weit näherbringen, dass es für sie normal ist, über Sex zu sprechen.»

Dem Lehrer ist es sehr wichtig, dass seine Schülerinnen und Schüler vor ihrem ersten Mal Sex mindestens einmal ein Kondom in der Hand hatten. Das altbekannte «Kondom über Gurke ziehen» macht er nicht mehr. «Ich verteile jedem und jeder ein Kondom. Ich zwinge niemanden es aufzumachen, aber sie sollten es mal gesehen haben», so der Lehrer. «Kondom und Pillen sind das Hauptthema, weil sie mit diesen Verhütungsmethoden einfach am meisten konfrontiert werden. Aber wir schauen die Spirale, das Diaphragma und so weiter an.»

Homosexualität im Unterricht

Das Thema Homosexualität sei in der Mittelstufe kein Schwerpunkt, erklärt Rahel Märki. Trotzdem würde das Thema angesprochen. «Wir erwähnen immer wieder, dass es gleichgeschlechtliche Paare gibt und versuchen es so zu normalisieren», so die Sexualkundelehrerin. Anders wäre es, wenn sie merken würde, dass dieses Thema die Klasse bereits beschäftigen oder betreffen würde. «Bisher hatte ich das noch nie.»

Auch im Unterrichtsplan von Marco Gsell nimmt das Thema Homosexualität eine kleine Rolle ein. «Von Homosexualität steht nichts im Lehrmittel, mit welchem wir Sexualkunde unterrichten.» Ob und wie dieses Thema angesprochen wird, sei deshalb von den Lehrpersonen abhängig. Freie Zeit, um dieses und andere kritische Themen einzubinden, sei genügend vorhanden.

Die Hemmungen kommen mit dem Alter

In der 6. Klasse ist es Rahel Märki am wichtigsten, dass sie Kinder ein positives Verhältnis zu ihrem Körper und Sexualität entwickeln. «Es ist sehr schön zu sehen, wie sie sich öffnen und ihre Anliegen diskutieren können.» Die meisten Kinder seien froh, Sex-Themen nicht mit ihren Eltern besprechen zu müssen.

Die Jugendlichen hätten in der 8. Klasse viel mehr Hemmungen, über Sexualität, Verhütung und Krankheiten zu sprechen, als noch in der Mittelstufe. Sie hätten Angst, vor der Klasse als unwissend dazustehen und stellen deshalb weniger Fragen. «Ich bin immer überrascht, wie wenig die Schülerinnen und Schüler trotz Social Media über Sexualkunde wissen», erklärt Marco Gsell. Sie seien zum Teil davon überzeugt, dass der Coitus interruptus, das frühzeitige Herausziehen, eine gute Verhütungsmethode sei oder eine Frau nur während des Eisprungs schwanger werden könne.

An vielen Schulen im Aargau wird «Seges» hinzugezogen. Die Kinder und Jugendlichen haben so die Möglichkeit, in kleineren Gruppen über gewisse Themen zu sprechen. Ausserdem reden sie dabei mit fremden Personen und nicht mit der Lehrperson, was laut Michael Ganz oftmals zu sehr guten und offenen Gesprächen führen kann.

veröffentlicht: 12. Februar 2024 06:21
aktualisiert: 12. Februar 2024 06:25
Quelle: ArgoviaToday

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