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Verschollenerklärung: Wenn die letzte Hoffnung eine Frist trägt

Langzeitvermisst

Verschollenerklärung: Wenn die letzte Hoffnung eine Frist trägt

11.08.2023, 07:10 Uhr
· Online seit 11.08.2023, 06:24 Uhr
Gilt eine Person als vermisst, kann ein Antrag auf Verschollenerklärung gestellt werden. Taucht die Person innert eines Jahres seit Antrag nicht auf, wird sie juristisch für tot erklärt. Wie wichtig diese Verschollenerklärung für Angehörige ist, erklärt Psychologe Thomas Spielmann gegenüber ArgoviaToday.
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Es sind die Worte, die die letzte Hoffnung einläuten – der Antrag auf Verschollenerklärung. Seit fast elf Jahren gilt Mirjam Scherrer-Peyer als vermisst. Zehn lange Jahre hatte man auf ihr Auftauchen gewartet, zehn lange Jahre hatte man gehofft. Nun läuft der letzte Aufruf und die letzte Frist für etwas Hoffnung. Hinter dem bürokratisch und sperrig anmutenden Begriff Verschollenenerklärung steckt für Angehörige aber mehr als nur ein juristischer Akt.

Antrag als Abschlusswunsch oder Ende der Hoffnung

Bevor eine Person gerichtlich für Verschollen erklärt wird, kommt es nochmals zu einer Art Zeugenaufruf. Mittels Publikation setzt im Kanton Aargau das verantwortliche Bezirksgericht eine einjährige Frist, in der «jedermann» dazu aufgefordert wird, sich beim Gericht zu melden, sollte man Informationen über die vermisste Person haben. Treffen innert dieser Frist keine Meldungen ein, wird die vermisste Person für Verschollen und somit juristisch für tot erklärt.

Die Frist, wann ein Antrag gestellt werden kann, beträgt entweder ein oder fünf Jahre, seit die Person vermisst wird. Oftmals wird aber länger als gesetzlich verlangt mit dem Antrag gewartet. Wenn Angehörige sich dann für den Antrag entscheiden, kann das laut Psychologe Thomas Spielmann zwei Sachen aussagen: «Es kann sowohl der Wunsch sein, jetzt damit abzuschliessen, als auch ein Zeichen, keine Hoffnung mehr zu haben».

Schreckliche Gewissheit ist erträglicher als Ungewissheit

«Die Mutter eines verschollenen Sohnes sagte mir einmal, sie führe ein Leben in der Tiefkühltruhe. Ein tiefgefrorenes Leben könne weder sterben noch leben», berichtet Spielmann. Der Mensch erträgt fast jedes «Wie», solange er das «Warum» dazu hat. Doch Ungewissheit verhindert die aktive Auseinandersetzung und verunmöglicht es, einen Schicksalsschlag zu verarbeiten und sich wieder dem Leben zuzuwenden, erklärt der Psychologe weiter. Eine offizielle Verschollenerklärung sei genau deshalb enorm wichtig für Angehörige.

Denn die Erklärung ist einerseits für die Bürokratie notwendig. So können etwa Erb- oder Rentenansprüche erst durch diese Erklärung geltend gemacht werden. «Neben der Qual der schrecklichen Ungewissheit sind Lebenspartner und Nachkommen häufig auch von Schulden und Armut bedroht», erklärt Spielmann. Andererseits helfe ein amtliches, «offizielles» Dokument aber eben auch psychisch. «Viele Angehörige können dadurch endlich mit dem Trauerprozess beginnen», so Spielmann.

veröffentlicht: 11. August 2023 06:24
aktualisiert: 11. August 2023 07:10
Quelle: ArgoviaToday

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