Coming Out Day 2023

«Das klassische Coming-out ist für viele Queers nicht mehr Realität»

11.10.2023, 14:53 Uhr
· Online seit 11.10.2023, 11:51 Uhr
Am 11. Oktober ist weltweiter Coming Out Day. LGBTIQ+-Menschen sollen sich durch den Tag ermutigt fühlen, sich zu outen. Warum der Coming Out Day für queere Menschen in der Schweiz nötig ist – aber nicht mehr ganz so wichtig wie früher.

Quelle: Highlights der Zürich Pride vom 17. Juni 2023 / CH Media Video Unit / Linus Bauer

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Casey sitzt an einem Abend mit ihrem Vater auf der Veranda ihres Hauses. «Ich date Izzie», sagt sie. «Deine Freundin Izzie?», fragt der Vater. – «Mmmh.» – «Oh ... »

«Oh? War das ein gutes oder schlechtes ‹Oh›?», fragt Casey. «Ich weiss nicht, was für ein verdammtes ‹Oh› es ist», so der Vater.

Die Szene stammt aus der Netflix-Serie «Atypical». Sie zeigt das Coming-out der bisexuellen Teenagerin Casey Gardner bei ihrem Vater.

Am 11. Oktober ist weltweiter Coming Out Day 

Coming-outs gehören zum Leben vieler aus der LGBTIQ+-Community. Lesbische, bisexuelle, schwule, pansexuelle, trans, non-binäre, asexuelle Menschen und alle, die sich auf dem queeren Spektrum befinden, müssen sich outen – im Gegensatz zu Hetero- und Cis-Menschen. Coming-outs sind nicht einfach. So sagt Casey in «Atypical»: «Ich hatte Angst ... Angst, dass du mich anders siehst.»

Am 11. Oktober findet auf der ganzen Welt der Coming Out Day statt. Auf der Website von comingoutday.ch heisst es: «Es geht im Kern darum, ungeouteten Personen durch die Sichtbarkeit von LGBT-Personen Mut beim eigenen Coming-out zu machen.»

Seit 1988 gibt es den Aktionstag schon. In der Schweiz wird der Tag von der Lesbenorganisation Schweiz LOS und Pink Cross, der Dachorganisation der schwulen und bisexuellen Männer in der Schweiz, koordiniert. Doch ist ein Coming-out 2023 überhaupt noch nötig? Was bedeutet ein Coming-out für queere Menschen?

Roman Heggli von Pink Cross und Alecs Recher vom Transgender Network Switzerland TGNS geben gegenüber der Today-Redaktion Auskunft.

Was ist der Coming Out Day?

Roman Heggli: Der Coming Out Day will einmal im Jahr darauf aufmerksam machen, wie schön ein Coming-out ist. Auch wenn es für viele noch ein grosser Schritt ist, dem Umfeld zu sagen, dass man nicht ganz cis und hetero ist – so ist es auch eine sehr grosse Befreiung. Schlussendlich ist der Coming Out Day eine wunderbare Gelegenheit, als queere Personen sichtbar zu sein.

Warum braucht es den Coming Out Day 2023 noch?

Roman Heggli: Der Coming Out Day ist eine Institution. Der Tag wird weltweit gefeiert und kann speziell jungen Menschen Mut machen. Gleichzeitig hat der Tag an Relevanz verloren. Das klassische Coming-out, das man von früher kennt, ist heute bei vielen queeren Menschen gar nicht mehr Realität. Denn junge Menschen gehen heute viel offener mit Sexualität und Geschlechtsidentität um, probieren aus und wollen sich nicht gleich in eine Box stecken lassen. Da hat sich sehr viel verändert, weil die Gesellschaft offener geworden ist und queere Lebensrealitäten viel sichtbarer sind.

Alecs Recher: Auch heute noch braucht jedes Coming-out Mut, weil besonders trans Personen nie wissen, wie das Gegenüber reagieren wird. Der Coming Out Day kann Mut machen und Unterstützung geben dafür, aber auch aufzeigen, wie wichtig die Reaktion des Gegenübers ist und wo es Unterstützung gibt für alle Beteiligten.

Du hast Fragen zu deiner sexuellen/romantischen Orientierung oder deiner Geschlechtsidentität? 

Was kann ein Coming-Out bewirken? 

Roman Heggli: Es ist ein wunderschöner Moment – hoffentlich – für einen persönlich. Man kann plötzlich sich selbst sein, muss sich nicht mehr verstecken und kann tiefere Beziehungen eingehen, weil man authentischer sein kann. Dennoch ist häufig ein Moment der Unsicherheit da: Wie wird das Umfeld reagieren? Glücklicherweise reagiert es heute häufig sehr positiv.

Alecs Recher: Im positiven Fall löst ein Coming-out ein Gefühl von Befreiung aus und die Möglichkeit, als sich selbst zu leben. Eine negative Reaktion hingegen richtet oftmals Schaden an, nicht nur bei der trans Personen, sondern auch in der Beziehung zur anderen Personen.

Was raten Sie Menschen, die sich vor einem Coming-out Sorgen machen?

Roman Heggli: Unbedingt sich mit anderen queeren Menschen austauschen! Etwa bei du-bist-du.ch oder der Milchjugend. Da kann man sich mit anderen queeren Jugendlichen austauschen und Selbstvertrauen gewinnen. Und: Sich erst mal bei einer guten Freund*in outen und so eine verbündete Person gewinnen.

Alecs Recher: Viele trans Personen erleben es als hilfreich, vor den ersten Coming-outs und vor besonders herausfordernden Coming-outs (zum Beispiel im Job) mit einer Fachperson aus der Community zu reden. So können verschiedene Möglichkeiten, wie ein Coming-out gestaltet werden kann und wie mit schwierigen Reaktionen umgegangen werden kann, angesehen werden.

Was ist ein Coming-out?

Wie unterscheiden sich Coming-outs als trans und als nicht-heterosexuell voneinander?

Zwischen einem Coming-out als trans und als nicht-heterosexuell gibt es einige Unterschiede, wie Alecs Recher vom Transgender Network Switzerland erklärt. Einerseits sei die Trans-Feindlichkeit mehr verbreitet, wie der Hate Crime Bericht 2022 zeigt. Deshalb sei die Angst vor einer negativen Reaktion grösser.

«Weil Unwissen und Falschwissen über trans Menschen viel verbreiteter sind, ist auch die Gefahr grösser, dass auf Coming-outs unangebracht, hilflos oder negativ reagiert wird», fügt Recher hinzu.

Ausserdem würden sich einige trans Kinder in einem jüngeren Alter als LGB-Jugendliche outen, «weil wir Menschen uns unserer Geschlechtsidentität in einem deutlich jüngeren Alter bewusst werden als unserer sexuellen Orientierung».

Übrigens: Die Szene aus «Atypical» nimmt ein schönes Ende: «Ich sehe dich nicht anders», sagt Vater Doug zu seiner Tochter Casey.

Kampf für trans Rechte: Finn, non-binär, und trans Mann Benjamin erzählen ihre ganz persönliche Geschichte

Quelle: TalkTäglich vom 16. Juni 2022 / TeleZüri

veröffentlicht: 11. Oktober 2023 11:51
aktualisiert: 11. Oktober 2023 14:53
Quelle: Today-Zentralredaktion

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