Mit anderen Kindern Fangen spielen oder selbständig in den Kindergarten gehen – das alles ist für die fünfjährige Ella* unmöglich geworden. Seit vier Wochen sitzt das Mädchen aus dem Kanton Zürich im Rollstuhl. In den Skiferien im Berggebiet Madrisa nahe Klosters hatte sich die Kindergärtlerin das Schienbein gebrochen. Für Krücken ist sie noch zu klein, der Rollstuhl war deshalb die einzige Lösung.
Für die alleinerziehende Mutter N.S.* ist die ständige Hilfe, die ihre Tochter benötigt, im Alltag eine zusätzliche Herausforderung. Besonders belastet die Mutter den Unfall aber, weil dieser eine Folge eines aggressiven Verhaltens eines Skischülers gewesen sein soll.
«Er rückte ihr nahe auf»
«Bereits am zweiten Skitag habe ich festgestellt, dass ein Skischüler meiner Tochter auf dem Teppichlift so nah aufgerückt ist, dass er sie viermal nacheinander schubsen konnte und sie fast umgefallen wäre», sagt N.S. zur Today-Zentralredaktion. Sie habe danach laut in den Snowpark gerufen. «Doch niemand reagierte, obwohl unten am Lift ein Skilehrer stand», behauptet S. Oben angekommen, habe ihre Tochter geweint und dann direkt der zuständigen Skilehrerin davon erzählt. «Darauf habe ich die Skilehrerin gebeten, ihre Fürsorgepflichten gegenüber meiner Tochter künftig besser wahrzunehmen.»
Der Skischüler hörte mit der Schubserei angeblich nicht auf. Am Tag darauf habe sie erneut beobachtet, wie der Junge ihrer Tochter während der Liftfahrt so nahe aufgerückt sei, dass sie sich nicht mehr habe bewegen können, behauptet die Mutter. Als sie die Skilehrerin auf das Problem hingewiesen habe, habe diese «nur erwidert, dass sie schon mehrfach mit dem Buben über das Problem gesprochen habe». Nochmals habe sie die Lehrerin auf die Gefährlichkeit eines solchen Verhaltens hingewiesen und sie gebeten, dieses zu unterbinden.
Mädchen habe nicht mehr bremsen können
«Wäre es nicht der letzte Tag in der Skischule gewesen, hätte ich die Skischule für meine Tochter abgebrochen», sagt S. Doch eine Stunde später war es passiert – S. erhielt einen Anruf, dass Ella verunfallt sei.
Laut Angaben der Mutter war Ella auf der Piste auf dem Boden gelegen. Darauf sei ein Mädchen, das nicht mehr habe bremsen können, in sie hineingefahren. Die Skischule habe angegeben, dass es zuvor wieder «einen Vorfall mit dem Jungen» gegeben habe. «Ella erzählte mir, sie sei zu Boden gefallen, weil der Junge sie geschubst habe.» Auch habe ihre Tochter geklagt, dass der Junge auch ein anderes Mädchen wiederholt umgeschubst habe.
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Inzwischen liegt der Fall bei der Schaden Service Schweiz AG, wie ein Schreiben zeigt, das der Today-Zentralredaktion vorliegt. Diese prüft im Auftrag der Krankenkasse Helsana, ob sie die erbrachten Leistungen in der Höhe von mehreren tausend Franken für das Ereignis bei einem haftpflichtigen Dritten zurückfordern kann. Damit ist die Skischule gemeint.
Skischule verneint aggressives Verhalten von anderem Kind
Die Schweizer Ski- und Snowboardschule Klosters bestätigt, dass Ella in der Skischule verunfallt sei. Die Schuldzuweisungen unterstützt sie jedoch nicht. «Die Schuldfrage ist nicht ansatzweise so eindeutig zu beantworten, wie dies Frau S. gerne hätte», schreibt Geschäftsleiter Lukas Gerig auf Anfrage. Vorab wolle er auch an dieser Stelle darauf hinweisen, dass der Unfall mit der Tochter von Frau S. der Skischule leid tue. «Wir haben dem Mädchen bereits die besten Wünsche zusammen mit einer kleinen Aufmunterung zukommen lassen.»
Der angebliche Unfallhergang sei so nicht zutreffend, schreibt Gerig. «Es entspricht durchaus einem normalen Verhalten unter Kindern, sei es in der Schule, auf dem Schulweg oder eben in der Skischule, dass diese sich gelegentlich schubsen.» Die Skischule könne klar verneinen, dass ihr ein übermässig aggressives oder gar gewalttätiges Verhalten seitens eines anderen Kindes gegenüber der Tochter von Frau S. aufgefallen wäre. «Ein gelegentliches Schubsen, wie es unter Kindern üblich ist, gab es, dies ging jedoch nicht nur von anderen Skischülern aus, sondern teilweise auch von der Tochter von Frau S.»
«Ihre Skier kreuzten sich»
Die Bitte von Frau S., die Fürsorgepflicht gegenüber ihrer Tochter besser wahrzunehmen, habe die Skischule zur Kenntnis genommen, teilt Gerig weiter mit.
Laut Gerig führte und überwachte die Skischule nicht nur den von Frau S. beschuldigten Jungen. «Aus Sicht der Schule wurden sämtliche Kinder gut geführt und überwacht.» Der Unfall habe sich im flachen Gelände ereignet, als sich die Kinder mit Schlittschuhschritten nach vorne hätten bewegen wollen. «Die Tochter von Frau S. kam dabei unglücklich zu Fall und verletzte sich.» Die Ursache des Sturzes habe aber nicht eindeutig dem von Frau S. beschuldigten Jungen angerechnet werden können. «Da beide Kinder Schlittschuhschritte machten, kreuzten sich ihre Skier.»
N.S. bezeichnet die Reaktion der Skischule als «lachhaft». Seltsamerweise habe die Schule kein einziges Mal erwähnt, dass das Schubsen auch von ihrer Tochter ausgegangen sei, als sie sich über das Verhalten des Jungen beklagt habe und auch nicht, als sie ihre Tochter nach dem Unfall aus der Skischule zusammen mit dem Rettungsdienst abgeholt habe. «Wäre die Schubserei ein gegenseitiges Problem gewesen, hätte mich die Schule doch darauf aufmerksam gemacht, dass sich meine Tochter ebenfalls daran beteiligt hat», sagt S. kopfschüttelnd.
Gewalt unter Kindern
In letzter Zeit machen Kinder und Jugendliche vermehrt Schlagzeilen mit gewalttätigem Verhalten. Kürzlich prügelte im zürcherischen Schwamendingen eine 15-Jährige eine 12-Jährige spitalreif. Keine zwei Wochen zuvor hatte die Tat zweier junger Teenagermädchen grosses Entsetzen ausgelöst. Diese sollen im deutschen Freudenberg ihre 12-jährige Freundin erstochen haben.
*Name der Redaktion bekannt