Hass im Stadion

«Du H*rensohn!» – Wenn dich 70'000 Menschen ausbuhen

· Online seit 10.11.2023, 06:38 Uhr
Pfiffe gegen die gegnerische Mannschaft gehören irgendwie einfach zum Fussball dazu. Dass sich aber ein ganzes Stadion gegen einen Spieler stellt, ist eher aussergewöhnlich. Ein Mentaltrainer ordnet Gianluigi Donnarummas Empfang in Mailand ein.
Jeffrey Gnehm
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Es ist Dienstagabend, kurz nach 21 Uhr und im Mailänder Fussballtempel San Siro treffen in der vierten Runde der Champions League-Gruppenphase die beiden europäischen Giganten AC Milan und Paris Saint-Germain aufeinander. 75'000 Schaulustige im Stadion – volle Hütte – und alles ist angerichtet für ein Fussballspektakel. Doch ein Ereignis steht dabei besonders im Fokus: Die Rückkehr des Gianluigi Donnarumma, der im Juli 2021 statt seinen Vertrag bei seinem Jugendverein zu verlängern, die AC Milan ablösefrei in Richtung Paris verliess.

«Donnarumma, figlio di puttana!»

Dass Gianluigi Donnarumma nach seinem Abgang nicht mit Handkuss in seiner alten Heimat willkommen geheissen würde, war klar. Da er Mailand aufgrund des deutlich besseren Lohns bei Paris verlassen haben soll, ist eine wütende Reaktion der Milan-Fans irgendwie verständlich. An diesem Abend donnerte aber ab der ersten Minute eine besonders brachiale Hasswelle auf den 24-jährigen Schlussmann. Wann immer der Ball nur in seine Nähe kam, hallte ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert durch das Stadion. Ein Chor aus rund 70'000 Milan-Anhängern stimmte über 90 Minuten immer wieder beleidigende Gesänge, wie «Donnarumma, figlio di puttana!» («Donnarumma, du Hurensohn!»), an. Zudem flogen hunderte Bündel aus Falschgeldnoten, die Anhänger der Milan-Fankurve «Curva Sud» vor dem Spiel verteilten, von den Rängen in Richtung des italienischen Nationalgoalies. Auf den Geldscheinen wurde «Dollarumma» unter anderem als «unehrenhafter Mann» bezeichnet, wie Blue Sport schreibt.

Quelle: Leserreporter / ArgoviaToday / Severin Mayer

Wenn aus Ärger Hass wird

Es ist bekannt, dass Fussballbegeisterte besonders temperamentvoll sein können, wenn es um ihren Lieblingsverein geht. Und ganz ehrlich, den meisten Fussballfans ist in der Hitze des Gefechts auch schon einmal ein ausfälliges Wort über einen Schiedsrichter oder die gegnerische Mannschaft entglitten. Dass dieser Ärger aber wie am Dienstagabend in puren Hass, gezielt und immerwährend gegen einen einzelnen Spieler übergeht, ist schon aussergewöhnlich. Beleidigungen während des Spiels übertragen sich danach häufig auf Social Media, wo sich, ist der Shitstorm mal ausgebrochen, die Kommentarspalten mit Hasskommentaren füllen. Das zeigt sich auch unter Gianluigi Donnarummas Instagrampost nach dem Spiel gegen seinen Ex-Club.

Profi-Fussballer stehen ständig unter Beobachtung, Woche für Woche erwarten Verein und Fans Höchstleistungen von ihnen. Läuft es mal nicht oder tut man etwas, das nicht allen gefällt, droht sich innert kürzester Zeit ein Donnerwetter zu entladen. Zwischen verbaler Kritik im Stadion, beleidigenden Kommentaren auf Social Media oder sogar physischer Gewalt gibt es einen grossen Spielraum.

Eine starke mentale Gesundheit ist für Fussballer essenziell, sagt Fussball-Mentaltrainer Nico De Villa von «Football Leverage», einer Schweizer Beratungsfirma für Fussballer. «Donnarumma liess sich am Dienstag nichts anmerken, das zeugt von einer hohen mentalen Stärke». Dabei sei ein gefestigtes Selbstbild die wichtigste Voraussetzung, um grossem Druck standzuhalten. Und nicht nur das. Im besten Fall können Fussballer die Kritik sogar für sich nutzen: «Mental starke Spieler profitieren von Pfiffen, weil sie Hass in positive Energie umwandeln können und sich damit pushen», erklärt der Mentaltrainer gegenüber ArgoviaToday.

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«Mentale Gesundheit ist ein Prozess»

Heutzutage hätten die meisten Profi-Fussballer einen persönlichen Mentaltrainer, der sie über lange Zeit begleitet – auch wenn der Spieler mal den Club wechselt. «Mentale Gesundheit», führt Nico De Villa weiter aus, «müsse man sich erarbeiten». Dazu gehören tägliche Übungen, die die Psyche stärken und und einem die eigenen Stärken bewusst machen. Viele Profis sagen auch, dass sie Pfiffe und Beleidigungen während des Spiels gar nicht wahrnehmen. Letztlich seien aber auch Fussballer nur Menschen, die alle unterschiedlich mit Kritik umgehen können. Im Falle Donnarummas sei aber deutlich zu erkennen, dass er im Laufe seiner Karriere an der Kritik gewachsen sei, ganz im Sinne von «was dich nicht umbringt, macht dich stärker». Denn sonst wäre er wohl schon lange daran zerbrochen und nicht da, wo er heute steht – nämlich regelmässig für einen der grössten Clubs und die italienische Nationalmannschaft zwischen den Pfosten.

veröffentlicht: 10. November 2023 06:38
aktualisiert: 10. November 2023 06:38
Quelle: ArgoviaToday

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