Welt

Tiktok-Trend analysiert: Was die Bär-Mann-Frage über uns aussagt

Fachpersonen klären auf

Darum geht es wirklich bei der «Bär oder Mann»-Frage

· Online seit 09.05.2024, 17:20 Uhr
Einmal mehr erhitzt eine Frage die Gemüter der Tiktok-Welt: «Würdest du allein im Wald festsitzen, wärst du dann lieber mit einem fremden Mann oder einem Bären zusammen?» Doch was steckt wirklich hinter der Frage und ihren Antworten?

Quelle: ArgoviaToday

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Zugegeben, es ist weniger die Frage, sondern es sind viel mehr die Antworten, die die Kommentarspalte zum Explodieren bringen. Denn viele Frauen entscheiden sich in diesem fiktiven Szenario für den Bären und nicht für den fremden Mann.

@screenshothq The question of being stuck in a forest with a man or a bear is circulating on TikTok right now and sparking some interesting conversation.... we know what our answer would be 🐻🌳 #manvsbear #tiktok #tiktoktrend #trending #challenge #streetinterview #voxpop ♬ Terror Music (Scary Song) - IMPERIUM RECORDS

Als Begründung für den Bären heisst es in der Kommentarspalte: «Wenn ich von einem Bären angegriffen würde, würden mir die Leute immerhin glauben» oder «bei einem Bären weisst du, was dich erwartet». Für einige Männer ein Affront, liest man deren Kommentare unter dem Video: «Die haben doch einen Schaden» oder «Bis sie dann wirklich einen Bären sehen», sind noch die harmlosesten Antworten.

Thomas Neumeyer, Leiter Kommunikation männer.ch, Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisation, sieht das Ganze aber etwas anders: «Es ist natürlich zugespitzt und verkürzt, wie alles auf Tiktok. Aber es bringt gut zum Ausdruck, dass es für viele Frauen eine massiv bedrohliche Vorstellung ist, mit einem fremden Mann in einem Raum und ohne soziale Kontrolle und ohne Fluchtmöglichkeit zu sein.»

Auch die Badener Psychologin Katrin Dingeldein erklärt, dass es beim polarisierenden Video nicht wirklich um den Bären geht.

Die Antworten zeigen viel mehr, welche Erfahrungen Frauen in der Vergangenheit mit Männern gemacht haben, hält Dingeldein fest. Aus eben diesen Erfahrungen leiten Frauen Vermutungen oder Überzeugungen ab, wie es in Zukunft sein wird, führt die Psychologin weiter aus. Auch Neumeyer stimmt dem zu: «Die Angst vor sexualisierter Gewalt ist eben leider nicht unbegründet.»

In der ganzen «Bär oder Mann»-Geschichte geht es also weniger um das fiktive Szenario, sondern um die tatsächliche Gefühlslage nach Ereignissen, die Frauen mit Männern gemacht haben. «Es geht um die Frage: Wie gehen wir miteinander um?», fasst es die Expertin zusammen.

Perspektivenwechsel und Mitgefühl 

Man nehme das berühmte Beispiel: Eine Frau geht alleine durch eine verlassene Strasse. Hinter ihr geht ein Mann. Viele Frauen wechseln instinktiv die Strassenseite oder halten den Hausschlüssel in der Hand, als wäre es ein Schlagring – nur für alle Fälle, versteht sich. Es sei ein Perspektivenwechsel gefragt.

«Vielleicht kann man sich als Mann einfach mal fragen, wie es für diese Frau ist, wenn ich jetzt einen Meter hinter ihr her laufe?», meint die Psychologin. Sich in andere hineinzuversetzen, sei elementar für eine funktionierende Gesellschaft. Das rät auch Neumeyer allen Männern, zudem ruft er in Erinnerung: «Bei einem Grossteil der Fälle sexualisierter Gewalt ist der Täter kein Fremder, sondern ein Vertrauter.» Man solle darum auch mit Bekannten mehr sprechen, um Ängste ab- und Vertrauen aufzubauen

«Du übernachtest als Mann zum Beispiel nach dem Ausgang bei einer Kollegin, weil kein Zug mehr fährt: Proaktiv ansprechen, was sie braucht, damit sie sich damit wohl und sicher fühlt. Und wenn im Gespräch klar wird, ihr ist irgendwie unwohl – nicht gekränkt sein, sondern akzeptieren und halt auf den ersten Zug warten oder ins Hotel», führt er aus.

Trotzdem kann die Expertin nachvollziehen, dass einige Männer die «Bär oder Mann»-Frage als Affront sehen: «Männer werden bei dieser Frage, bzw. bei der Beantwortung der Frage praktisch pauschal als Täter dargestellt und das ist eine deutliche Reduzierung.» Deswegen brauche es Perspektivenwechsel und vor allem Mitgefühl auf beiden Seiten.

Social Media: Angst schüren statt sinnvoller Diskurs?

Wir Menschen haben die Tendenz zur selektiven Wahrnehmung. Wir nehmen nur noch Inhalte und Informationen wahr, die das Bild bestätigen, erklärt Dingeldein.

Plattformen wie Tiktok schüren deswegen vielmehr Angst, als dass sie zu einem lösungsorientierten Diskurs beitragen, warnt die Psychologin: «Frauen schauen diese Videos und lesen die Kommentare darunter und fühlen sich in ihrer Angst sogar noch bestätigt. Das führt überhaupt nicht zur Lösung, sondern befeuert nur Ängste.»

Auch Neumeyer sieht solche Tiktok-Videos zwar kritisch, sieht aber den Nutzen darin: «Heute funktioniert die Welt einfach so, Social Media gehört zur Realität. Wir müssen versuchen, auch auf diesen Kanälen einen Dialog zu führen und auf zugespitzte Videos differenziert zu antworten.» Grundsätzlich wünscht sich Neumeyer mehr respektvolle Debatten. Durch Social Media könne für wichtige Themen mehr Reichweite gewonnen werden.

Die Expertin rät: «Man sollte sich nicht von Angst leiten lassen, sondern von der Vernunft.» Denn es sei wichtig, Dinge und Situationen zu hinterfragen, um sich negative Erfahrungen zu ersparen und gut auf sich aufzupassen. Alles was Frauen in ihrer Selbstwirksamkeit und in ihrer Selbstbehauptung stärke, sei hilfreich.

veröffentlicht: 9. Mai 2024 17:20
aktualisiert: 9. Mai 2024 17:20
Quelle: ArgoviaToday

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