Scholz wolle gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem italienischen Regierungschef Mario Draghi nach Kiew reisen, berichtete die «Bild am Sonntag» unter Berufung auf französische und ukrainische Regierungskreise. Ein Sprecher der Bundesregierung wollte den Bericht am Samstagabend nicht kommentieren. Aus dem Élyséepalast in Paris hiess es: «Nein, wir bestätigen diese Information nicht.»
Scholz hatte zuletzt gesagt, er würde nur nach Kiew reisen, wenn konkrete Dinge zu besprechen wären. Zwischen Berlin und Kiew hatte es in den vergangenen Monaten einige Spannungen gegeben. Neben der früheren Russland-Politik des heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier kritisierte die ukrainische Seite, es dauere zu lange, bis zugesagte Waffenlieferungen auch tatsächlich ankämen.
Kämpfe um Sjewjerodonezk dauern an
In der Ostukraine wird weiter unter anderem um die Grossstadt Sjewjerodonezk gekämpft. Das russische Militär habe die zivile Infrastruktur in der Stadt sowie im benachbarten Lyssytschansk und drei weiteren Orten beschossen, teilte der ukrainische Generalstab mit. Ukrainische Einheiten hätten russischen Angriffen aus mehreren Richtungen standgehalten. Die Angaben waren nicht unabhängig zu überprüfen.
Sjewjerodonezk ist die letzte Grossstadt im Gebiet Luhansk, die sich noch nicht vollständig unter Kontrolle russischer Truppen oder prorussischer Separatisten befindet. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von fortlaufenden Strassenkämpfen. Laut Bürgermeister Olexandr Strjuk kontrollieren ukrainische Truppen ein Drittel von Sjewjerodonezk. Die Stadt sei seit rund zwei Monaten ohne Strom und Wasserversorgung, betonte er.
Schwierige Lage für ukrainische Truppen
Selenskyj und andere ukrainische Politiker appellierten in den vergangenen Tagen an westliche Verbündete, schleunigst mehr schwere Waffen und Geschosse zu schicken. Denn der Konflikt in der Ostukraine entwickelt sich zu einem Artillerie-Duell, in dem die russische Armee dank grösserer Waffen- und Munitionsbestände einen Vorteil hat. Die russischen Truppen verzeichnen nach ukrainischen und westlichen Schätzungen weiter hohe Verluste. Selenskyj sprach am Samstag in seiner täglichen Videoansprache von bisher rund 32'000 getöteten russischen Soldaten. Am Vortag hatte einer seiner Berater die Verluste der ukrainischen Armee seit der russischen Invasion am 24. Februar auf etwa 10'000 Getötete beziffert.
Renten und Versorger-Rechnungen in Rubel
Zugleich versucht Russland, besetzte Gebiete schnell an sich zu binden. So sollen im besetzten südukrainischen Gebiet Cherson Renten bald in russischen Rubel gezahlt werden, wie der russische Verwaltungschef Wladimir Saldo am Samstag im Nachrichtendienst Telegram verkündete. Das gelte auch für Rechnungen von Energie- und Wasserversorgern - die bis zur Umstellung kostenlos sein würden. Am Samstag wurden den ersten 23 Einwohnern der Region russische Pässe ausgehändigt. Rund 7000 weitere hätten einen russischen Pass beantragt, hiess es. Selenskyj sagte in seiner Ansprache, russische Pässe seien dort so etwas wie «ein Ticket zur Flucht», da die ukrainische Armee im Gebiet Cherson Fortschritte mache.
Kandidaten-Status für Ukraine wird auch EU stärker machen
Selenskyj warb noch einmal für den EU-Beitritt seines Landes. Er sei überzeugt, dass mit der Entscheidung über einen Kandidatenstatus für die Ukraine auch die Europäische Union gestärkt werden könne. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte bei einem Besuch in Kiew am Samstag gesagt, die Auswertung des Beitrittsantrags der Ukraine werde Ende der kommenden Woche abgeschlossen. Ihre Behörde soll eine Empfehlung mit Blick auf einen möglichen Kandidaten-Status für das Land abgeben. Die Ukraine hofft, dass sie diesen beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der EU am 23. und 24. Juni zuerkannt bekommt.