Drogenszene

Suchtkranker berichtet: «Konsumräume haben mir das Leben vereinfacht»

· Online seit 20.10.2023, 07:33 Uhr
Aktuell wird viel über die Drogenpolitik im Aargau diskutiert. Die Stimmen für geschützte Konsumräume in Brugg-Windisch werden nun immer lauter. Ein Betroffener erklärt gegenüber ArgoviaToday, wie wichtig diese Massnahme für suchtkranke Menschen wäre.

Quelle: ArgoviaToday / Selina Urech / Severin Mayer (19.10.23)

Anzeige

Reto* war selbst jahrelang «aktiver Süchtiger», bis er vom Angebot der Heroinabgabestelle (HAG) gehört hatte. «Aktiv süchtig bedeutet, dass ich meinen Stoff auf der Gasse geholt habe», erklärt er. Inzwischen ist Reto «inaktiver Süchtiger». In der Substitutionstherapie kann er sein Leben mittlerweile «gut managen», wie er gegenüber ArgoviaToday erzählt. Das habe er einerseits der HAG zu verdanken, aber andererseits eben auch den geschützten Konsumräumen.

Die Diskussion um die offene Drogenszene rund um den Brugger Bahnhof kennt Reto von beiden Seiten. Nicht nur, weil er selbst einmal Teil so einer Szene war, sondern auch, weil er jetzt im Parkunterhalt bei der Psychiatrischen Dienste Aargau AG (PDAG) in Windisch arbeitet. Seitdem die Polizei Räumungen rund um den Bahnhof in Brugg durchführen, findet man im Park rund um die Psychiatrie in Windisch massiv mehr Drogenutensilien, wie Reto weiter ausführt.

«Wir haben auch Kinderkrippen auf dem Gelände und nur 50 Meter nebenan findest du jetzt Spritzen», berichtet er. Reto verstehe zwar, warum die Polizei die Personenansammlungen rund um den Bahnhof auflösen muss, aber das Problem sei dadurch trotzdem nicht gelöst.

«So war es auch beim Platzspitz und dem Letten, als diese geräumt wurden. Damals hat sich auch alles in die Stadt Zürich umverteilt. Das gleiche passiert jetzt halt auch in Brugg», sagt er. Er sieht in Konsumräumen die Lösung. Das Problem im Park würde dann kaum mehr existieren, meint er. «Niemand konsumiert mit Absicht neben einer Kinderkrippe.»

Konsumräume als Lösung?

Auch Thilo Beck, Psychiater und Co-Chefarzt des Arud Zentrum für Suchtmedizin, erklärte bereits gegenüber ArgoviaToday, dass geschützte Konsumräume ein essenzieller Teil bei der Problemlösung von offenen Drogenszenen seien. Reto teilt diese Meinung und weiss aus eigener Erfahrung: «Die Konsumräume haben mir das Leben extrem vereinfacht.» In den Konsumräumen ergänze sich alles, berichtet er. Suchtkranke finden dort die nötige Unterstützung und zudem ist es auch für die Polizei eine Erleichterung: «Die wussten dann immer genau, wo ihre Pappenheimer sind», erzählt Reto und schmunzelt.

Es sind vor allem zwei Punkte, weswegen er Konsumräume wichtig finde: «Dort ist die Sauberkeit gewährleistet. Dann hat man ganz sicher eine ärztliche Aufsicht und ausgebildete Menschen. Ausserdem hätte man alles auf einem Haufen. Das ist etwas, das wichtig ist. Denn so ist das ganze Klientel an einem Ort», sagt er.

Sucht ist Sucht 

Auf die Frage, ob sich denn etwas verändert hätte im Vergleich zu seiner «aktiven» Zeit, findet Reto klare Worte: «Momentan ist es so, dass in der Gesellschaft das Koksen toleriert wird. Ich finde es komisch, dass einer, der einen Job hat und seine Sachen macht, dazu 2 oder 3 Gramm Koks konsumiert, dann mit dem Finger auf die ‹Junkies› zeigt, welche ihre Medikamente holen. Das finde ich schwierig, denn es gibt nicht Süchtige und Süchtige. Entweder bist du es oder du bist es nicht.»

Reto wünscht sich mehr Toleranz, sowohl seitens Politik, aber auch der Gesellschaft. «Man wird auf die Sucht reduziert. Aber Sucht ist nur ein ganz kleiner Teil des Lebens. Daneben bleibt noch ganz, ganz viel und das ist der Mensch. Und der darf nicht vergessen werden.»

*Name der Redaktion bekannt und geändert.

veröffentlicht: 20. Oktober 2023 07:33
aktualisiert: 20. Oktober 2023 07:33
Quelle: ArgoviaToday

Anzeige
Anzeige
argoviatoday@chmedia.ch