Knecht-Nachfolge

Politexperte: «Kommen die Grünen mit Kälin, müssen sich die anderen warm anziehen»

06.07.2022, 19:33 Uhr
· Online seit 06.07.2022, 17:45 Uhr
Die Ausgangslage um den im Jahr 2023 frei werdenden Aargauer Ständeratssitz könnte kaum spannender sein. Aus allen politischen Lagern dürften Kandidaturen kommen, Anwärterinnen und Anwärter gibt es einige – mit unterschiedlichen Vorzeichen.
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Wäre der Kampf um den zweiten Aargauer Ständeratssitz ein Jass, so würden die Karten jetzt nochmals neu gemischt. Gleich mehrere Parteien wollten den SVP-Sitz von Hansjörg Knecht angreifen. Nun verzichtet er auf eine weitere Kandidatur und die Trümpfe wechseln die Hand.

Bereits gestern Abend preschte die SP vor und versuchte einen ersten Stich: Die Bezirkspartei Aarau nominierte Nationalrätin Gabriela Suter als Knecht-Nachfolgerin. Nur wenige Stunden nachdem SVP-Ständerat Hansjörg Knecht verkündet hatte, 2023 nicht mehr anzutreten. Suter wird aber kaum die einzige Anwärterin auf Seiten der SP bleiben, denn bis zur Delegiertenversammlung im kommenden Monat werden wohl noch einige Sozialdemokraten Ambitionen für den Sitz anmelden, den die SP 2019 an die SVP verlor.

Für die SVP indes ist klar, dass sie den freien Sitz um jeden Preis verteidigen will. Parteipräsident Andreas Glarner sagte gegenüber TeleM1, dass der Aargau neben FDP-Mann Thierry Burkart unbedingt auch in Zukunft einen zweiten bürgerlichen Ständerat brauche. Dass Burkart seinen Sitz verteidigen wird, ist unbestritten. Die SVP wird nun eine Findungskommission einberufen, die sicherstellen soll, dass die stärkste Partei im Kanton die besten Karten in der Hand hält.

Quelle: TeleM1

Haben die Grünen den Trumpf in der Hand?

Mit dem Politik-Aus von Hansjörg Knecht ist das Feld aber nicht nur für die beiden Polparteien SVP und SP weit offen. Kandidaturen seien nun von allen Parteien zu erwarten, sagt der Aargauer Politexperte Jürgen Sahli. «Eine Ständeratskandidatur ist natürlich eine ideale Plattform, um sich in den Vordergrund zu stellen, auch im Hinblick auf die Nationalratswahlen.»

Das ganze Interview mit dem Aargauer Politexperten Jürgen Sahli gibt es hier zum Nachhören:

Um stichfeste Prognosen zu wagen, sei es anderthalb Jahre vor der Wahl noch zu früh, es werde aber mit Sicherheit einen harten Kampf um den Sitz geben. Die Grünen hätten dabei mit Nationalratspräsidentin Irène Kälin einen Trumpf in der Hand. Die 35-Jährige konnte sich in ihrem Präsidialjahr nicht zuletzt mit ihrer Ukraine-Reise profilieren, die auf nationaler Ebene grossen medialen Anklang fand. Sahli sagt: «Wenn die Grünen Irène Kälin zu einer Kandidatur überzeugen können, dann müssen sich die anderen Parteien warm anziehen.» Grünen-Kantonalpräsident Daniel Hölzle will sich derzeit nicht zu einzelnen Kandidaturen äussern. Man werde aber ins Rennen um den Ständeratssitz steigen, bestätigt er.

Sticht die Mitte?

Auch bei der Mitte will man sich noch nicht zu sehr in die Karten blicken lassen. Wahlkampfleiter Andre Rotzetter sagt aber: «Unabhängig vom Rücktritt von Hansjörg Knecht haben wir schon vor längerer Zeit entschieden, eine Kandidatur aufzustellen.» Nun sei das Feld aber wieder offener. Namen für mögliche Kandidaturen will die Mitte erst nach der Delegiertenversammlung veröffentlichen.

Die logische Kandidatin wäre Marianne Binder. Die Kantonalpräsidentin schaffte bei den letzten Wahlen den Sprung in den Nationalrat und erreichte bei den Nationalratswahlen einen Achtungserfolg. Damals war sie noch als Grossrätin angetreten, als Bundespolitikerin mag sie im kommenden Jahr nun bessere Chancen haben. «Wir gehen auf jeden Fall davon aus, dass wir gute Chancen haben», sagt Wahlkampfleiter Rotzetter, will aber nicht darauf eingehen, ob Binder als Kandidatin aufgestellt wird. Es gebe einige Interessenten, sagt er.

GLP: Braucht es ein Mitte-Links-Bündnis?

Und die Grünliberalen? Die GLP konnte in jüngster Vergangenheit in vielen Kantonen überzeugen und ist seit einigen Jahren auf dem aufsteigenden Ast. Dennoch sagt der Aargauer Kantonalpräsident Philippe Kühni: «Ich denke, wenn man die SVP schlagen will, kommt man nicht um ein Mitte-Links-Bündnis herum.» Kühni rechnet damit, dass die Parteien im ersten Wahlgang je mit einzelnen Kandidaten ins Rennen steigen, in einem zweiten Wahlgang aber eine gemeinsame Kandidatur finden müssten.

Erste Gespräche mit den anderen Parteien hätten stattgefunden. Mit dem Verzicht von Knecht müsse man die Lage aber neu beurteilen, spruchreif sei noch nichts. Auch zu möglichen GLP-Kandidatinnen und -Kandidaten hält sich die Partei noch bedeckt und will ihre Karten ebenfalls noch nicht auf den Tisch legen.

Alle gegen die SVP

Vom Links-Grünen oder von einem Mitte-Links Päckli ist Politexperte Sahli nicht überzeugt. «Das hat schon vor vier Jahren im zweiten Wahlgang nicht funktioniert. Ich denke, da wird jede Partei zunächst für sich schauen wollen.» Aber Sahli mahnt zur Vorsicht bei solchen Prognosen. Noch sei vieles unklar und der Wahlkampf gehe erst richtig los, wenn alle Kandidaturen offiziell aufgestellt sind.

Es kann bisher also noch herzlich wenig auf der Schiefertafel festgehalten werden. Bereits klar ist, dass die EVP mit Nationalrätin Lilian Studer um den Sitz kämpft. Dies hatte die Partei bereits im April angekündigt. Der Wahlkampf verspricht also schon jetzt, beim Neu-Mischen der Karten, ein spannendes Politjahr, in dem womöglich mehr als ein Trumpf sticht.

veröffentlicht: 6. Juli 2022 17:45
aktualisiert: 6. Juli 2022 19:33
Quelle: ArgoviaToday

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