Aargau/Solothurn

Warum tragen viele Jugendliche ein Messer mit sich, obwohl sie es nicht brauchen wollen?

Messer im Sack

Warum tragen viele Jugendliche ein Messer mit sich, obwohl sie es nicht brauchen wollen?

05.11.2023, 08:32 Uhr
· Online seit 05.11.2023, 08:29 Uhr
Die Regionalpolizei Zurzibiet meldet, dass sie in letzter Zeit vermehrt Jugendliche mit Messern im Ausgang beobachten. Tendenziell gehe es eher darum, Eindruck zu schinden als tätlich zu werden. Ein Erwachsener erzählt warum er in seiner Jugend immer ein Messer dabei hatte.
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«Aktuell beobachten wir leider, dass vermehrt Jugendliche der Meinung sind, im Ausgang ein Messer mitführen zu müssen. Bekanntermassen führte dieses Phänomen in jüngster Vergangenheit in unserer Region bereits mehrmals zu Streitigkeiten mit verletzten Personen», heisst es auf der Instagramseite der Regionalpolizei Zurzibiet. Laut René Lippuner, Präsident Aargauer Regionalpolizeien, ist das ein Phänomen, das zwischenzeitlich aufkommt und wieder abflacht. Tendenziell gehe es eher darum, Eindruck zu schinden als tatsächlich Gebrauch davon zu machen. Um des Problems Herr zu werden, führt die Regionalpolizei Zurzibiet regelmässige eingehende Personenkontrollen an den Hotspots durch.

Auch Bernhard Graser, Mediensprecher der Kantonspolizei bestätigt, dass das Thema wieder aktuell ist, betont jedoch, dass es gegenwärtig nicht im alarmierenden Bereich sei. Gleich wie die Regionalpolizei führt auch die Kapo regelmässige Personenkontrollen durch. Gemäss Graser werden unerlaubte Messer eingezogen und deren Besitzer verzeigt. Wie oft, werde nicht statistisch festgehalten.

Warum Alex in seiner Jugend ein Messer mit sich trug

Mit 14 Jahren fing Alex* damit an, regelmässig ein Messer mit sich herumzutragen, wenn er das Haus verliess. Sein aus heutiger Sicht schlechtes Umfeld habe ihn massiv beeinflusst. «Es war in diesen Kreisen üblich, ein Messer zum Eigenschutz mit sich herumzutragen, da man ‹wusste›, dass jederzeit jemand kommen könnte und einem das Portemonnaie oder sonstiges abzwacken will», so Alex.

Er habe das Messer nie eingesetzt, um jemanden zu verletzen. Auf die Frage, ob er dazu in der Lage dazu gewesen wäre, meint er: «Eigentlich ungern, aber wenn es um mein Leben gegangen wäre, hätte ich schon Gebrauch davon gemacht». Viel mehr sei es sein Ziel gewesen, seinem Gegenüber bei einer Auseinandersetzung Angst einzujagen, damit es überhaupt nicht erst zu Gewalt kommt.

Obwohl viele wie Alex ihr Messer nur zu diesen Zwecken mit sich tragen, bergen laut Kapo-Sprecher Bernhard Graser genau diese Situationen Gefahrenpotenzial. Unter den falschen Umständen zur falschen Zeit könne es vorkommen, dass das Messer affektartig gezückt und eingesetzt wird. «Was das für Auswirkungen haben kann, ist vielen nicht bewusst», so Graser.

Ähnlich sieht es Dirk Baier, Leiter Institut Delinquenz & Kriminalprävention an der ZHAW. Die Forschung zeige, dass sich das Risiko mindestens verdoppelt, in Gewalthandlungen involviert zu werden, wenn man ein Messer dabei hat. Das habe unter anderem damit zu tun, dass man sich mit derartiger Bewaffnung mutiger fühlt. Ein verbaler Konflikt eskaliert so gemäss dem Gewaltforscher schnell zu einer physischen Auseinandersetzung.

Liegt es an der Unsicherheit?

Dass ein Unsicherheitsgefühl mit dem Messertragen in Zusammenhang steht könne kaum belegt werden. Ihm zufolge ziehen sich Menschen, wenn sie sich unsicher fühlen, eher zurück, als sich Gegenstände anzuschaffen, die Unsicherheit symbolisieren. Der wichtigste Grund, ein Messer mitzuführen, sei, dass Freunde aus der Peer-Group dies auch tun. So entstehe der Druck, sich aufzurüsten, sagt der Gewaltforscher.

Die Attraktivität des Messers liegt laut Baier in der Vielseitigkeit der Verwendungsmöglichkeiten, da es sowohl als Werkzeug als auch zur Verteidigung eingesetzt werden kann. Besonders wichtig sei auch der Symbolwert: «Wer ein illegales Messer bei sich führt, geniesst Anerkennung unter den Gleichaltrigen, gilt als richtiger Mann. Hinzu kommt, dass es einfach zu beschaffen ist: Messer, auch illegale Messer, kann man über das Internet aus dem Ausland beziehen».

«Der Druck der Peergruppe ist meist stärker»

Eltern sollten mit ihren Kindern über Fragen der Bewaffnung reden und Interesse an deren Leben zeigen. Eine Zauberformel, das Kind (meist den Sohn) vom Messertragen abzuhalten, gebe es allerdings nicht, weil der Druck der Peergruppe meist stärker sei. «Man kann Eltern mit der Aufgabe der Prävention auch nicht allein lassen. Hier sind Schulen, die Polizei oder Vereine mindestens genauso gefordert, mitzuhelfen», so Baier.

Das Messer abgelegt

Alex sagt heute, in seiner frühen Jugend sei er ein unzufriedener, aggressiver Mensch mit vielen Komplexen und dem falschen Umfeld gewesen. Mit etwa 19 Jahren sei er dann zur Einsicht gekommen, dass es für ihn so nicht weitergehen kann. Infolge dessen distanzierte er sich bewusst von diesem Umfeld. Und von seinem Messer. «Ich habe gemerkt, dass ich älter geworden bin und Probleme mit Worten lösen kann», sagt Alex. Er betont, dass seine Berufsausbildung im sozialen Bereich seinen Sinneswandel massgeblich positiv beeinflusst hat.

Der heute 22-Jährige rät seinen jüngeren Mitmenschen, nicht die gleichen Fehler wie er zu machen. Sich in einem positiven, ermutigenden Umfeld aufzuhalten, aufeinander acht zu geben und freundlich auf andere Menschen zuzugehen, sei das beste, was man machen könne.

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*Richtiger Name der Redaktion bekannt.

veröffentlicht: 5. November 2023 08:29
aktualisiert: 5. November 2023 08:32
Quelle: ArgoviaToday

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