Quelle: Tele M1
Die SVP macht in Solothurn gemeinsame Sache mit Mass-Voll!, in mehreren Kantonen spannen SVP und FDP zusammen und SP und Grüne bilden fast überall eine strategische Allianz. Die Rede ist hier von Listenverbindungen, hinsichtlich der Nationalratswahlen im Herbst.
In den vergangenen Tagen wurde viel über die Listenverbindungen der Parteien geschrieben, debattiert – und sich geärgert. Doch was sind Listenverbindungen überhaupt? Wem nützen sie? Und was müssen wahlberechtigte Personen in der Schweiz dazu wissen? Die Today-Redaktion klärt die drängendsten Fragen.
Was ist eine Listenverbindung?
Listenverbindungen kommen bei Proporzwahlen zum Zug. Diese erfolgt bei den Nationalratswahlen in den Kantonen, die mindestens zwei Nationalratssitze haben. Schweizweit sind das 20 Kantone.
Parteien können ihre Wahllisten mit einer oder mehreren Parteien zusammenschliessen. Die Parteien behalten dabei aber auch die einzelnen Wahllisten.
Was bringt eine Listenverbindung?
Listenverbindungen können den Parteien zusätzliche Sitze verschaffen – und zwar bis zu zwei Dutzend mehr, wie Politikwissenschaftler Daniel Bochsler gegenüber dem SRF sagte.
Denn: Bei der Proporzwahl bedeuten mehr Stimmen für eine Partei nicht unbedingt mehr Sitze im Nationalrat. Um einen Sitz zu erhalten, muss eine gewisse Anzahl Stimmen erzielt werden.
Wenn Stimmen an Listen gehen, von der niemand gewählt wird, sind es verlorene Stimmen. Bei Listenverbindungen verschwinden diese sogenannten «Reststimmen» jedoch nicht in der Versenkung – sondern können den Parteien indirekt weitere Sitzgewinne ermöglichen.
Wie funktioniert Listenverbindung konkret?
Wenn eine Partei etwa acht Sitze erobert hat, kann es sein, dass noch Stimmen übrig bleiben. Diese verfallen, wenn sie nicht mehr für einen weiteren Sitz reichen.
Hier kommt die Listenverbindung ins Spiel. Wenn Parteien ihre Listen verbinden, können sie mit diesen Reststimmen Sitze gewinnen, für die es ohne Listenverbindung nicht gereicht hätte.
Die verbundenen Listen funktionieren in der ersten Runde der Sitzverteilung wie eine einzige Parteiliste. Die Nationalratssitze werden gemäss der erzielten Stimmen in einem ersten Schritt an diese neue, gemeinsame Liste verteilt.
Die Reststimmen der Parteien einer Listenverbindung werden gebündelt und zusammengezählt. Dadurch haben die Parteien in der zweiten Runde der Sitzverteilung grössere Chancen, mit den übrigen Stimmen weitere Sitze zu ergattern. Stimmen werden also von einer Partei zu einer anderen «transferiert».
Wem nützen Listenverbindungen?
Kleine Parteien haben oft nur geringe Chancen, Sitze zu gewinnen, weshalb sie von Listenverbindungen profitieren können. Zu einer anderen Schlussfolgerung kam Politikwissenschaftler Daniel Bochsler nach den Wahlen 2015: Tendenziell nützten Listenverbindungen vor allem den grösseren Parteien, fand er in einer Studie heraus. Auch sollten sich Parteien mit etwa gleich grossen Parteien verbinden, denn die wählerstärkste gehe meist als Siegerin aus den Wahlen hervor.
Es gibt auch Unterlistenverbindungen. Hier können sich mehrere Listen innerhalb einer Partei – etwa Frauen- und Jungpartei-Listen – zusammenschliessen. Diese könne Letzteren zu einer besseren Repräsentation verhelfen.
Was der Nachteil von Listenverbindungen?
Nachteile an Listenverbindungen gibt es eigentlich keine. Daniel Bochsler sagte gegenüber dem SRF: «Mathematisch kann man nachweisen, dass eine Listenverbindung immer Sinn ergibt. Wenn sie nichts bringt, so schadet sie auch nicht.» Jedoch weist der Politikwissenschaftler darauf hin, dass die Parteien an die Bedürfnisse ihrer Wählerschaft denken müssten. So sei die SVP für viele aus der FDP-Basis zu radikal – weshalb sich solche Listenverbindungen negativ auswirken könnten.
Sind Listenverbindungen problematisch?
Listenverbindungen sorgen jüngst für Kritik von allen Seiten. In der Vergangenheit wurden sie intransparent kommuniziert. Wahlbeobachtende der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bemängelten die fehlende Transparenz und Wirkung hinsichtlich Listenverbindungen bei den Wahlen 2011. Darauf reagierte der Bund. Seit den Wahlen 2015 müssen gemeinsame Allianzen klar deklariert und in den Wahlanleitungen besser erklärt werden.
Was bedeuten die Listenverbindungen für mich als Wählerin, als Wähler?
Als Wählerin kann es sein, dass du schlussendlich einer Partei zu Sitzen verhilfst, die du gar nicht unterstützen möchtest. Wenn du etwa im Kanton Aargau wohnst und bei den Wahlen ausschliesslich planst, die FDP zu wählen, kann es sein, dass du auch der SVP zu einem Sitz verhilfst, weil diese zwei Parteien eine Listenverbindung eingegangen sind.
2011 etwa eroberte die GLP in Graubünden einen der fünf Sitze. Ermöglicht hatten das auch Wählerinnen der Grünen und der SP, weil diese eine Listenverbindung mit der GLP eingegangen waren.
Welche Listenverbindungen gehen die Parteien 2023 ein?
Das Nachrichtenmagazin «10 vor 10» des SRF hat in allen Kantonen nachgefragt, welche Allianzen die Parteien für die Wahlen 2023 zum jetzigen Zeitpunkt eingehen.
- SVP und FDP
Die FDP und die SVP machen in neun Kantonen gemeinsame Sache – dreimal mehr als bei den Wahlen 2019. Die Kantone sind Genf, Waadt, Bern, Jura, Basel-Landschaft, Aargau, Zug, Zürich und Schaffhausen.
- SP und Grüne
Laut Politologe Lukas Golder ist eine Listenverbindung zwischen SP und Grünen «absolut naheliegend» und beinahe schon Tradition. Die beiden linken Parteien sind in 15 Kantonen strategische Partnerinnen. Fünf weitere könnten noch folgen.
- SP, Grüne und GLP
In den Kantonen Thurgau, Graubünden und Aargau haben SP und Grüne mit der GLP eine gemeinsame Liste.
- Mitte und GLP
Die Mitte verbindet sich mal mit der GLP, mal mit der FDP. In Graubünden, dem Thurgau und Genf hat die Mitte eine Listenverbindung mit der FDP. In acht Kantonen machen GLP und Mitte gemeinsame Sache.
Bis spätestens Mitte September müssen die Parteien all ihre Listenverbindungen kommuniziert haben.
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