Bundesamt für Kultur

«Erstmals mehr Gesuche zu kolonialen Kulturgütern» – so arbeitet das neue Gremium

· Online seit 01.04.2024, 12:13 Uhr
Im November 2023 hat der Bundesrat die Schaffung einer unabhängigen Expertenkommission für belastetes Kulturerbe beschlossen. Diese soll bereits in diesem Jahr ihre Arbeit aufnehmen. Welche Aufgaben das neu geschaffene Gremium hat und wie diese zusammengesetzt sind, erklärt ein Experte.
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Das Enteignungssystem des Kolonialismus führte zu einem Abzug von Kulturgütern aus den betroffenen Gebieten und gleichzeitigem Zufluss vor allem nach Europa. Einige Schweizer Museen haben in ihren Sammlungen (beispielsweise ethnographische, ethnologische, naturkundliche, kulturhistorische, archäologische Sammlungen) auch Kulturgüter aus ehemals kolonisierten Staaten im Bestand.

Der Bundesrat hat eine unabhängige Kommission für historisch belastetes Kulturerbe geschaffen. Seit dem 1. Januar 2024 ist diese Verordnung in Kraft. Damit setzt sie eine am 9. Dezember 2021 von SP-Politiker Jon Pult eingereichte Motion um. Dabei soll vor allem ein verantwortungsvoller Umgang mit dem kulturellen Erbe in Bezug auf NS-Raubkunst und Kulturgütern aus kolonialem Kontext im Fokus stehen.

Historisch belastetes Kulturerbe rückt in den Vordergrund

Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden zahlreiche Kulturgüter aus jüdischem Besitz enteignet. Solche Raubkunst hat auch ihren Weg in die Schweiz gefunden – so beispielsweise die Bührle-Sammlung im Kunsthaus Zürich oder auch eines der Cézanne-Bilder des Badener Museums Langmatt, welches im Herbst 2023 in New York versteigert wurde. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs werden Rückerstattungs- und Entschädigungsansprüche geltend gemacht, was immer wieder zu Unsicherheiten, Streitfällen und langwierigen Gerichtsprozessen führt.

In den letzten Jahren haben zudem koloniale Kulturgüter wie Masken, geschnitzte Baumstämme, aber auch menschliche Überreste vermehrt an Aufmerksamkeit gewonnen, die im Kontext des Kolonialismus den Ursprungsgemeinschaften entzogen und nach Europa gebracht worden waren. Nun hat der Bund mit der unabhängigen Kommission ein Gremium geschaffen, welches in strittigen Fällen und in Einzelfällen nicht bindende Empfehlungen abgeben kann.

9 bis 12 Mitglieder in der Kommission

«Es ist vorgesehen, dass die Kommission im ersten Halbjahr 2024 formell eingesetzt wird. Der Bundesrat wird die einzelnen Mitglieder bestimmen und im zweiten Halbjahr sollen die Expertinnen und Experten ihre Arbeit dann aufnehmen», sagt Marco Eichenberger, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Sektion Museen und Sammlung, gegenüber ArgoviaToday. Die Kommission soll aus neun bis zwölf Mitgliedern bestehen, welche aus unterschiedlichen Disziplinen und Bereichen kommen. Die jeweiligen Anforderungsprofile werden dem Bundesrat vorgelegt, damit eine möglichst «breite Palette an Wissen und an Hintergründen vereint werden», so Eichenberger.

In den ersten Sitzungen des neuen Gremiums wird dieses dann vor allem organisiert, die Arbeitsschritte werden festgelegt und neue Reglemente geschaffen, bis es dann seine konkreten Aufgaben wahrnehmen kann, wie er weiter ausführt. Die Aufgaben der Kommission bestehen dann aus drei Teilen: «Einerseits berät sie den Bundesrat und die Bundesverwaltung generell zu Fragen im Zusammenhang mit historisch belastetem Kulturerbe, andererseits auch bei Fragen zu den Sammlungen des Bundes. Dazu kommt der dritte Teil mit den Einzelfallprüfungen. Dort kann eine Partei, also eine Institution, ein Museum oder eine Privatperson einen Fall vorbringen, bei der die Kommission anschliessend eine Empfehlung abgeben kann, meint der Experte.

Aufgabe des Gremiums: Beraten und empfehlen

Wie werden aber die Mitglieder ausgesucht? «Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) wurde beauftragt, konkrete Vorschläge zu unterbreiten anhand der Anforderungsprofile – das können zum Beispiel Mitarbeiter aus der Provenienzforschung oder Juristinnen sein.» Der Bundesrat ernennt dann die Mitglieder anhand der eingegangenen Vorschläge. Dieses Gremium soll beratend zur Seite stehen und in Einzelfällen eine nicht bindende Empfehlung abgeben können.

Dazu soll das Gremium unabhängig arbeiten und agieren können. Dies sei wichtig, damit auch Fragen und Fälle behandelt werden können, die die Sammlungen des Bundes betreffen, erklärt Eichenberger. Wie die Zusammenarbeit anschliessend mit den jeweiligen Kantonen aussehen soll, kann aktuell noch nicht gesagt werden. «Nachdem sich die Kommission konstituiert hat, muss das sicher Gegenstand der Gespräche sein, wie das Gremium für die Kantone unterstützend sein kann.»

Unterstützung vom Bundesamt für Kultur

Das Bundesamt für Kultur unterstützt seit 2016 die Provenienzforschung. Zunächst wurden Projekte im Bereich der NS-Raubkunst unterstützt, zwei Jahre später dann Projekte zu Kulturgütern aus kolonialen Kontexten mitfinanziert – allerdings ohne eigene Ausschreibung. Erst 2022 wurden dann Projekte zu kolonialen Kulturgütern separat ausgeschrieben. «Wir haben zum ersten Mal auch mehr Gesuche dazu erhalten als zu NS-Raubkunst.» Vereinzelt gibt es auch schon Projekte, die menschliche Überreste zum Inhalt haben.

Im Gegensatz zu Deutschland mit der Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, gibt es keine Erhebung in der Schweiz, wie viele menschliche Überreste hierzulande in Museen und Sammlungen lagern. «Deswegen ist es recht schwierig, da konkrete Aussagen zu machen». Dazu kommt erschwerend hinzu, dass je nach «Inventarisierungstiefe» von menschlichen Überresten nicht deutlich ist, ob die Knochen, welche in der Sammlung liegen, zu einem Skelett gehören oder individuelle Knochen sind, wie Eichenberger ausführt. «Je nach Inventarisierung kann es in dem Fall schwer sein, eine genaue Zuordnung zu machen. Ob eine solche Erhebung in der Zukunft angedacht sei, kann Eichenberger nicht sagen. «Es ist sicherlich interessant zu wissen, wie viele menschliche Überreste in der Schweiz lagern, dennoch ist es auch ein Feld, welches sich aktuell noch entwickelt.»

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veröffentlicht: 1. April 2024 12:13
aktualisiert: 1. April 2024 12:13
Quelle: ArgoviaToday

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