Louvre, Flughäfen, Zürcher Obergericht

Geltungssucht oder Ideologie – darum häufen sich aktuell Bombendrohungen

13.11.2023, 05:47 Uhr
· Online seit 30.10.2023, 07:05 Uhr
Dutzende Bombendrohungen in Frankreich, mehrere Bombendrohungen in der Schweiz: Aktuell häufen sich die Meldungen. Im Interview erklärt eine forensische Psychologin, was hinter dieser Häufung von Bombendrohungen steckt.

Quelle: Bombendrohung am 24.10.2023 / TeleZüri / Nicole Disler / ZüriToday / Linus Bauer

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Bombendrohungen beim Louvre und auf Schloss Versaille, dutzende Drohungen gegen Flughäfen in Frankreich. Mehrfache Bombendrohungen gegen den Flughafen in Basel und schliesslich am Dienstag auch gegen das Zürcher Obergericht.

In den letzten Tagen und Wochen haben sich solche Bombendrohungen gehäuft. Woran liegt das? Astrid Rossegger, Forensische Psychologin erklärt im Interview mit ZüriToday die Hintergründe.

Astrid Rossegger, aus Sicht der forensischen Psychologie, was steckt hinter dieser Häufung?

Ich kenne die betreffenden Ereignisse auch nur aus den Medien. Was klar ist: Es gibt nicht das eine Motiv – es handelt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit um verschiedene Beweggründe. Wir gehen davon aus, dass man diese drei Fallgruppen zuordnen kann. So können bei einer Personengruppe spezifische Persönlichkeitsmerkmale, wie z.B. eine ausgeprägte Geltungssucht im Vordergrund stehen. Diese Personen nutzen eine international aufgeladene Stimmung als Trittbrettfahrer, um sich wichtig zu machen.

Eine zweite Fallgruppe umfasst Personen, die eine bestimmte Ideologie verfolgen. Vor dem Hintergrund dieser Ideologie wollen sie in der Gesellschaft Angst auslösen. Vielleicht wollen sie damit auch bewirken, dass sich spezifische Minderheiten bedroht fühlen und sich diese aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. Schliesslich gibt es noch die Gruppe der «Witzbolde», die sich einen üblen Scherz erlauben und ausnutzen, dass solche Drohungen aktuell ernster genommen werden, als das vielleicht sonst der Fall wäre.

Was sind das für Personen, die Bombendrohungen aussprechen?

Zwei Punkte. Erstens: Aus forensischer Sicht unterscheiden sich Personen, die einen Bombenanschlag androhen, nicht unbedingt von Personen, die andere Formen schwerer Gewalt androhen. Ich habe viel Forschung betrieben im Bereich von häuslicher Gewalt, Sexualstraftaten oder Terrorismus. Es sind allgemeine Prinzipien oder Merkmale, die Menschen gewalttätig werden lassen. Man sollte nicht davon ausgehen, dass Bombendroher sich dahingehend von anderen Personen, die Gewalt androhen, unterscheiden.

Und Zweitens?

Es sind vor allem junge Männer, die bereit sind, die Handlungsschwelle zur Gewalt zu überschreiten. Das sieht man zum einen in den Kriminalitätsstatistiken. Man sieht es aber auch in der Aufarbeitung extremistischer Delikte. Es gibt also einen Peak zur Gewaltbereitschaft im jungen Erwachsenenalter.

Es gibt aber durchaus auch ältere Bombendroher.

Ja, es gibt eine Gruppe von Personen, die im fortgeschrittenen Alter, das heisst so um die 50- bis 55-jährig, auffällig werden. Das sind die typischen Querulanten. Personen, die häufig eine Persönlichkeitsstörung aufweisen, paranoide Vorstellungen haben. Das sind Eigenschaften, die im Alter eher zunehmen. Querulanten sprechen häufig Drohungen aus. Sie überschreiten aber nur sehr selten die Handlungsschwelle zur Gewalt. Das gilt generell: Eine kleine Minderheit derer, die Gewaltdrohungen ausspricht, setzt diese auch um.

Wie kann man versuchen, das zu erkennen? Ob jemand die Drohung nur ausspricht oder sie auch umsetzt?

In der Forensik haben wir in der Regel eine konkrete Person vor uns. Wir schauen uns an, ob jemand Risikomerkmale aufweist. Eine Faustregel: Wenn jemand «nur» droht, ist das ein Risikomerkmal. Für sich allein genommen ist dies in der Regel zwar eine Straftat, aber ansonsten wenig aussagekräftig. Kritisch wird es dann, wenn mehrere Risikomerkmale zusammenkommen. Zum Beispiel dann, wenn eine Bombendrohung von einem mehrfach vorbestraften Gewaltstraftäter ausgeht, der zudem Kokain konsumiert.

Wenn die Polizei jedoch eine anonyme Bombendrohung erhält, weiss man häufig sehr wenig über die Person, die dahintersteht. Dann muss man mit den wenigen Informationen arbeiten, die bekannt sind. Häufig bedeutet dies, dass man Annahmen trifft und Szenarien erarbeitet.

Am häufigsten gehen Bombendrohungen gegen öffentliche Bauten ein. Das Museum in Frankreich, der Flughafen in Basel, das Gericht in Zürich. Weshalb treffen Bombendrohungen am häufigsten öffentliche Bauten?

Da sind wir wieder bei den Motiven. Zum Beispiel beim Motiv der Geltungssucht: Wenn ich mich wichtig fühlen möchte, dann wähle ich für die Bombendrohung einen Ort, wo die Drohung möglichst viel Aufsehen erregt, wo möglichst viele Menschen sind. Mit der Evakuierung von Versaille oder von einem Flughafen kann ich mehr Schlagzeilen generieren als mit einer Bombendrohung gegen ein Einfamilienhaus.

Grosse Gebäude mit vielen Menschen deren Evakuierung zu einem relevanten Grossereignis werden könnte, nähren dieses Bedürfnis nach Aufmerksamkeit stärker. Das Gleiche bei den ideologisch getriebenen: Wenn ich die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzten will, sind öffentliche Gebäude ein naheliegendes Ziel. Je grösser, je mehr Menschen da sind, desto grösser auch der potenzielle Schaden, der angerichtet werden kann und damit auch der Schrecken.

Also vereinfacht gesagt gibt es aktuell eine Häufung von Bombendrohungen, weil vielleicht eine Person aufgrund der international angespannten Lage eine Bombendrohung ausspricht, um sich dann anzuschauen, was passiert?

Ja, das wäre das eine und das andere ist die Annahme, dass die Polizei in der aktuellen Lage Bombendrohungen ernster nimmt als in ruhigeren Zeiten. Und die Drohungen deshalb auch mehr an die Öffentlichkeit gelangen. Bei der Einstufung von Drohungen ist immer auch der Kontext zu berücksichtigen. Es gibt Hinweise darauf, dass Extremisten versuchen, den Terror, den es in Israel gegen die Zivilbevölkerung gegeben hat, auch nach Europa zu bringen. Wir haben eine Zunahme von antisemitisch motivierten Vorfällen und Gewalttaten in den letzten Wochen beobachten müssen.

Wenn eine Bombendrohung eingeht, muss das Szenario geprüft werden, dass die Bombendrohung mit dem Anstieg der allgemeinen Bedrohungslage in Zusammenhang steht. Ist sie «ideologisch getrieben» ist sie im aktuellen Kontext als problematischer einzustufen, als wenn jemand die Behörden ärgern möchte. Aber das Problem ist, dass man beim Eingang der Drohung oft nicht weiss, von wem die Bombendrohungen ausgesprochen wurde und welches Motiv dahinter steht.

Ist eine Bombendrohung, aus welcher eine ideologische Botschaft herauszulesen ist, gefährlicher? Muss man diese ernster nehmen als eine Bombendrohung, welche keine ideologische Botschaft aufweist?

Im forensische Bedrohungsmanagement gilt der Grundsatz, dass eine Drohung für sich allein noch kein eindeutiger Hinweis für Gefährlichkeit ist. Dafür gibt es viel zu viele Personen, die Drohungen aussprechen. Neben Persönlichkeitsmerkmalen ist auch der Kontext, in dem die Drohung ausgesprochen wird, wichtig. Und aktuell ausgesprochene Bombendrohungen müssen im Kontext des Nah-Ost-Konflikts und seinen Auswirkungen in Europa beurteilt werden. Das ist der springende Punkt: Es gibt einen Anstieg von Gewaltankündigungen, nicht nur Bombendrohungen. Wir beobachten international Gewaltankündigungen an Demonstrationen, wo teilweise zur Vernichtung von Israel oder zu Hassdelikten gegen die jüdische Bevölkerung aufgerufen wurde.

In so einer aufgeladenen Situation, die auch in der Gesellschaft polarisiert, muss eine Bombendrohung viel kritischer beurteilt werden als die gleiche Bombendrohung vor zwei Monaten. Und das ist das anspruchsvolle für die Behörden. Ich finde es sehr nachvollziehbar, dass die Behörden die Bombendrohungen ernst genommen und evakuiert haben. Wissend, dass in der Regel auf solche Drohungen keine Handlungen folgen.

Ist es auch eine Herausforderung für die Behörden, dass man die Drohungen zwar ernst nehmen muss aktuell… Gleichzeitig gibt man, wenn der Typ Geltungssucht dahintersteckt, dieser Person dann genau das, was sie erreichen will…

Ein Stück weit schon. Das Bedrohungsmanagement ist immer eine Güterabwägung. Man kann nicht bei jedem Anfangsverdacht immer alles räumen, sonst erliegt das öffentliche Leben. Aber in besonders aufgeheizten Situationen will man auch nichts verpassen. Aktuell herrscht eine Situation, in welcher diejenigen, die eine solche Drohung aussprechen, um Aufmerksamkeit zu erhalten, wahrscheinlich mehr Erfolg damit haben als in anderen Situationen.

Trotzdem finde ich es aus forensischer Sicht nachvollziehbar, dass die Polizei in der Schweiz und auch international so reagiert. Das zeigt auch, wie leicht die Gesellschaft und die Demokratie durch extremistische Strömungen unter Druck gerät und wie wichtig es ist, dass wir als Gesellschaft konsequent zum Ausdruck bringen, dass Gewalt nicht toleriert wird.

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veröffentlicht: 30. Oktober 2023 07:05
aktualisiert: 13. November 2023 05:47
Quelle: ZüriToday

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