Repol Wettingen-Limmattal

«Eine Kultur der Angst»: Brisantes Dokument enthüllt Mobbing-Vorwürfe an Polizei-Kommandanten

· Online seit 21.12.2023, 06:39 Uhr
Seit Monaten schwelt bei der Regionalpolizei Wettingen-Limmattal ein Konflikt zwischen einem Teil des Korps und dem Kommandanten. Recherchen zeigen, welche Vorwürfe die 13 Polizisten ihrem Chef machten, als sie beim Gemeinderat von Wettingen vorstellig wurden.

Quelle: Tele M1

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«Durch Hauptmann Oliver Bär wurden diverse Krankheitsgeschichten von Mitarbeitenden offen kommuniziert, indem er die Mannschaft in diversen Mails darüber orientierte. Dabei betitelte er die Krankgeschriebenen mehrfach als ‹die Angeschlagenen›.»

Das ist einer der vielen Vorwürfe, die sich in einem brisanten Dokument finden, welches der «Aargauer Zeitung» vorliegt. Es stammt von den 13 Polizisten der Regionalpolizei Wettingen-Limmattal. Sie hatten es im Juli an einer Aussprache dem Gemeinderat der Repol-Leitgemeinde Wettingen übergeben. Man kann auch von einem Aufstand sprechen. Denn die Polizisten forderten nichts weniger als die Absetzung ihres Kommandanten. Doch der Gemeinderat hielt an ihm fest.

Das Dokument ist 36 Seiten lang. Es wirft ein neues Licht auf die Krise der Regionalpolizei Wettingen-Limmattal. Es ist die grösste Krise in der Geschichte der Aargauer Regionalpolizeien, die ihren Betrieb 2007 starteten. Die Krise im Limmattal findet Anfang 2024 ihren zumindest vorläufigen Höhepunkt: Die Kantonspolizei übernimmt den Frontdienst mit Patrouillentätigkeiten und zieht in den Wettinger Polizeiposten mit ein. Vom Korps der Repol – knapp 40 Stellen im Vollbestand – sind noch rund 15 Stellen besetzt. Mehrere Kündigungswellen gab es, seit Oliver Bär im April 2022 das Kommando übernommen hat.

Mit ihm kehrte ein neuer Führungsstil im Wettinger Polizeiposten ein. Das macht das Dokument mit dem Titel «Beschwerde» deutlich. Mit Bärs Kommandoübernahme «hat sich das Betriebsklima innerhalb der Regionalpolizei massiv verschlechtert», heisst es im ersten Satz. Das sei der Grund für die vielen Kündigungen und langen Krankheitsfälle von Sachbearbeitern und Kaderleuten.

Die Erlebnisse im Bericht seien «teils persönlicher Natur und stellen in globo eine Sammlung dar», heisst es. Sie könnten zwar nicht kollektiv verstanden werden, würden aber die aktuelle Situation in der Regionalpolizei spiegeln. 

Vorwurf: Mangel an Fachkompetenz

Die Polizisten stellen die Fachkompetenz ihres Kommandanten stark infrage. Nach seinem Antritt sei es schnell für alle spürbar gewesen, dass Bär «kaum über Kenntnisse der Aufgaben einer Regionalpolizei verfügt», heisst es im Bericht. Bär war zuvor 25 lang bei der Kantonspolizei, 20 Jahre davon bei der Sondereinheit Argus. Die letzten 15 Jahre gehörte er dem Kader an.

Die Mannschaft werfe Bär eine verzerrte Wahrnehmung vor. «Er ist tatsächlich der Ansicht, dass seit seiner Dienstübernahme alles perfekt laufen würde und um einiges besser geworden sei.» Er mache seinen Vorgänger und Mitarbeiter für das Betriebsklima verantwortlich. Beim Umschreiben von Dienstanweisungen lasse er «keine Situation ungenutzt, um die Arbeit des vorgängigen Polizeichefs in ein schlechtes Licht zu rücken».

Aufträge zu Rechtshilfeersuchen anderer Amtsstellen seien spurlos verschwunden. Die Repol erhalte «etliche Anfragen» anderer Amtsstellen, wie es um die Erledigung der Aufträge stehe.

Kritik erfährt Bär wegen Umbauten im Polizeiposten: Die Gemeinde Wettingen müsse mutmasslich sparen, die Regionalpolizei könne dagegen ihr «Provisorium» aber nahezu «vergolden», wundern sich die Polizisten. Umgebaut wurden der Schalter und Befragungsräume. «Diese Räumlichkeiten sind zu eng und stellen dadurch ein Sicherheitsrisiko für die Mitarbeiter dar», heisst es. Bär habe im Polizeiposten Einstellzellen einbauen lassen. Diese entsprächen weder den Menschenrechtsvorschriften noch genügten sie feuerpolizeilichen Ansprüchen.

Kritik an Führungsstil und «Bossing»-Vorwurf

Der wohl härteste Vorwurf ist das sogenannte Bossing (Mobbing vom Boss). Bär suche systematisch nach Fehlern seiner Mitarbeiter. Er neige bei Feedbacks dazu, die Arbeit von Mitarbeitern schlechtzumachen und ihre Fachkompetenz infrage zu stellen, weiter zu zweideutiger und provokativer Kommunikation. Er führe die Repol mit massivem psychischem Druck, setze unerreichbar hohe Ziele an die Mannschaft, betitle sein Umfeld als zu sensibel. Alltägliche Routinearbeiten würden «bis ins Absurde analysiert und korrigiert». Wer gekündigt habe, werde von Bär «gekonnt ausgeschlossen, provoziert, bei anderen Mitarbeitenden disqualifiziert behandelt sowie ausgenutzt».

Auf der anderen Seite reagiere der Polizeichef mit einer «ausgeprägten Empfindlichkeit gegenüber Kritik» und werde dabei laut. Er greife bei Konflikten und Diskussionen sein Gegenüber sehr häufig in der Persönlichkeit an. «Es kann mit ihm nicht sachlich kommuniziert werden», heisst es. Bär habe «eine ausgesprochen geringe Empathie für sein Umfeld» und trage «narzisstische Züge in sich, unter welchen die Mannschaft leidet».

Umgekehrt leiste der Polizeichef keine konstruktive Kritik, falle mit Eigenlob auf. Mitarbeitende würden «keinerlei Wertschätzung für ihren täglichen Einsatz beziehungsweise Mehraufwand aufgrund des Unterbestands erhalten. Im Widerspruch dazu stünden Mails des Polizeichefs, die auch an Gemeindeammann Roland Kuster (Mitte) oder die Personalchefin gingen: Dort lasse er keine Gelegenheit aus, sich für alles und bei jedem zu bedanken.

Bär kümmere sich um Belange, die er delegieren könnte. Er tauche morgens um 5 Uhr im Polizeiposten auf. «Er hat offensichtlich kein Vertrauen in seine Mitarbeiter.» Er halte sich nicht an den Dienstweg, indem er Mitarbeitern Aufträge erteile, ohne dies mit deren direkten Vorgesetzten abzusprechen. Dadurch würde Planung teilweise über den Haufen geworfen, was zu grosser Unruhe führe.

Bär erzeuge einen «Kadergehorsam». Während einige Mitarbeitende mit Arbeit eingedeckt würden, würden andere «geschont» und tätigen lediglich «Hausmeisterdienste». Er fordere und fördere nur Mitarbeiter, «welche zu allem Ja und Amen» sagten. Kritik erfahren auch Stellenbesetzungen und Beförderungen. Bär habe bei vakanten Kaderstellen externe Bewerber, welche ohne Führungserfahrung seien oder in anderen Polizeiorganisationen von solchen enthoben worden seien, langjährigen Mitarbeitern vorgezogen.

Kritisiert werden auch die Löhne: Diese würden im Vergleich zu anderen Korps im unteren Bereich liegen. Die Löhne von Gruppenchefs und ihren Stellvertretern seien «nicht konkurrenzfähig». Als Sachbearbeiter frisch ab Polizeischule beziehe man dieselbe Besoldung wie ein Repol-Kadermitglied. Fachverantwortung werde nicht honoriert. Dazu kommt: Nach der Lohnrunde Ende 2022 hätten einige Sachbearbeiter annähernd so viel wie ihre Vorgesetzten verdient.

Es habe nie eine Vertrauensbasis zwischen Polizeichef und Mannschaft gegeben. Im Gegenteil: «Innerhalb des Korps herrscht eine Kultur der Angst, man fühlt sich nur noch kontrolliert und beobachtet.» Mehrmals wird der Polizeichef im Bericht als «M13» oder «Problembär» betitelt. Diese Übernamen habe er schon zu Kantonspolizei-Zeiten erhalten.

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Vorwurf: Mangel an Sozialkompetenz

Polizisten schreiben im Bericht von konkreten Vorfällen, mit denen sie die Sozialkompetenz des Kommandanten in Zweifel ziehen:

– Bär habe krankgeschriebene Mitarbeitende gedrängt, dass sie wegen personeller Engpässe zum Arbeiten am Schalter erscheinen. Krankgeschriebene Kaderanwärter hätten im Personalbüro erscheinen müssen.

– Er habe Zeitungsartikel am Anschlagbrett im Polizeiposten angebracht, welche zukünftige Arbeitgeber von Mitarbeitenden, etwa die Stadtpolizei Zürich, in ein schlechtes Licht gerückt hätten.

– Als ein Polizist der Repol Vater wurde, habe Bär ein Rundmail mit Namen von Kind und Ehefrau verschickt, obwohl der Mitarbeiter diese intern nie kommuniziert habe. Die Personalchefin der Gemeinde Wettingen habe Bär geraten, sich zu entschuldigen. Das sei aber nie geschehen.

– Er habe eine Aspirantin per Mail vorgestellt, indem er einzig ein Foto von ihr anfügte. Wobei unklar gewesen sei, wo er das Foto herhatte.

– Bär habe die Weisung durchgegeben, dass Tätowierungen während des Dienstes abgedeckt werden müssten. Einige Monate später machte er sie zwar rückgängig. Für einen Aspiranten (Polizist in Ausbildung) habe sie aber weiterhin gegolten. Bär habe weitere «sinnlose Verbote» erst erlassen, dann wieder revidiert.

Kritik auch an der Führung der Gemeinde Wettingen

Die Polizisten beklagen, dass persönliche Gespräche mit dem Kommandanten keine spürbaren Änderungen gebracht hätten. «Bis heute kann bei Polizeichef Oliver Bär keine Verbesserung bezüglich seines Verhaltens gegenüber seinen Mitarbeitern festgestellt werden», heisst es im Bericht. «Im Gegenteil: Die Situation hat sich verschlechtert.»

Bereits im Mai 2022 sprachen «die ersten Mitarbeiter» bei der Leiterin der Wettinger Personalabteilung vor. Es folgten «Dutzende von Mitarbeitern». Dies blieb, ebenso wie Gespräche bei Gemeindeammann Kuster, ohne «spürbare Wirkung». Deshalb hätten sich die 13 Polizisten auf Grundlage des Personalreglements (Paragraf 11) an den Gemeinderat gewandt, um an der Aussprache angehört zu werden. Bei dieser forderten die Polizisten, dass die Gemeinde die Persönlichkeit und die Gesundheit von ihnen als Arbeitnehmern zu achten und zu schützen habe.

Kommandant schweigt zu Vorwürfen

Was sagen Kommandant Oliver Bär und Gemeindeammann Roland Kuster zu den Vorwürfen? Wie schützt die Gemeinde als Arbeitgeberin die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden? Die AZ hat die beiden mit den schriftlich im Bericht festgehaltenen Kritikpunkten der Regionalpolizisten konfrontiert. Bär selbst antwortete nicht. Gemeindeammann Kuster wiederum hält fest: «Über interne personalrechtliche Sachverhalte kommunizieren wir aus Persönlichkeits- und Datenschutzgründen nicht in der Öffentlichkeit.» 

(Philipp Zimmermann/AZ)

veröffentlicht: 21. Dezember 2023 06:39
aktualisiert: 21. Dezember 2023 06:39
Quelle: ArgoviaToday

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