Asyl-Notstand Aargau

«Kanton muss mehr Mittel und Ressourcen in die Hand nehmen»

16.01.2023, 18:09 Uhr
· Online seit 16.01.2023, 17:32 Uhr
Zwei Schweizer Kantone haben den Asyl-Notstand ausgerufen. Neben Luzern auch der Aargau. Was das Notrecht unter anderem für Aargauer Vermieter bedeutet und was der Verein Netzwerk Asyl vom Vorgehen des Kantons hält, erklärt der Vereinspräsident.
Corinne Bürki

Quelle: Tele M1 / ArgoviaToday / Beitrag vom 05.01.2023

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Am vergangenen Freitag hat der Kanton Aargau den Asyl-Notstand ausgerufen. Nach Luzern ist er der zweite Kanton, der jetzt vom Notrecht Gebrauch macht. Damit soll die Regierung einfacher an Unterkünfte kommen, in denen Flüchtende untergebracht werden können. Denn diese fehlen dem Aargau und der Druck, dem Verteilschlüssel gerecht zu werden, steigt immer mehr an.

Rolf Schmid ist Präsident des Vereins Netzwerk Asyl im Aargau und ist vom Vorgehen des Kantons in der Vergangenheit nicht begeistert: «Der Kanton weist die Aufgabe den Gemeinden zu, frühzeitig genügend und adäquaten Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Macht aber keine genauen Vorgaben.»

So sei es auch dazu gekommen, dass in verschiedenen Ortschaften Häuser abgerissen wurden, nur um zu verhindern, dass man mehr Flüchtende aufnehmen müsse, so Schmid. In Oberwil-Lieli etwa habe der SVP-Politiker Andreas Glarner dieses Vorgehen öffentlich zugegeben. Aber auch in anderen Gemeinden seien solche Aktionen durchgeführt worden. «Es kann natürlich sein, dass das auch dazu beigetragen hat, dass jetzt der Notstand ausgerufen werden musste», erklärt der Präsident.

Diese Haltung sei zwar «desaströs», allerdings sei es auch die Konsequenz, wenn der Kanton alles an die Gemeinden abwälze. Deshalb müsse man das jetzt ändern, den Verteilschlüssel anpassen oder verwerfen und neue Wege suchen, meint Rolf Schmid. «Dass das eine Herausforderung und ein längerer Prozess ist, ist uns sehr bewusst.»

Der Kanton Aargau will keine freie Wohnsitzwahl

So fordert der Verein Netzwerk Asyl, dass man allen Bevölkerungsgruppen die private Unterbringung ermögliche. «Das fordern wir schon länger, aber jetzt ist es wirklich überfällig», sagt er. Denn aktuell benötige dies erheblichen behördlichen Aufwand für die Flüchtenden.

Zusätzlich müsse man endlich die freie Wohnsitzwahl bewilligen. «Diese Menschen sollen mit ihren – sehr bescheidenen – Mietgeldern selbst ein Zimmer oder eine Wohnung beziehen oder eine Wohngemeinschaft gründen können. So könnte man den Unterkunftsmangel weiter entschärfen.» Das gestalte sich in der Praxis besonders schwierig, da sämtliche Behörden mit einem Wohnsitzwechsel einverstanden sein müssten. «In anderen Kantonen geht das. Nur der Aargau möchte das nicht ändern. Das ist für uns sehr bedenklich und wir erachten es als äusserst schade», so der Präsident des Vereins Netzwerk Asyl.

Denn aktuell würde man die Flüchtenden entweder zusammenschieben oder umplatzieren und vor allem die unterirdischen Unterkünfte würden aufgrund des Fachkräftemangels nicht gut betreut werden. «Der Kanton muss da einfach mehr Mittel und Ressourcen in die Hand nehmen.» Ganze Wohnblöcke anzumieten, findet er hingegen nicht zielführend. «Denn die Flüchtenden sollten integriert werden und das funktioniert einfach besser in Misch-Wohnverhältnissen.»

«Mensch ist Mensch – Flucht ist Flucht»

Das Notrecht erlaubt es dem Kanton, dass er private Liegenschaften umnutzen kann. Das heisst, er kann Vermieter mit lehrstehenden Liegenschaften verpflichten, diese zur Verfügung zu stellen. Rolf Schmid hofft nicht, dass man so weit gehen muss: «Ich persönlich wünsche mir wirklich, dass sich genügend kooperative Vermieterinnen oder Vermieter melden.»

Es sei auch nicht so, dass man nichts dafür erhalte. «Man kann zum Teil ältere und leider auch sanierungsbedürftige Liegenschaften für gutes Geld vermieten», erklärt er. Das «leider», weil es Leute gibt, die diese Situation ausnutzen. Viele Unterkünfte seien in einem sehr schlechten, baufälligen Zustand. Schmid verstehe, dass man nicht die neusten und modernsten Wohnungen anbietet, was er aber nicht verstehe sei, wenn Gemeinden wie Wettingen gezielt nach «Abbruchliegenschaften» suchen würden. «Da macht man einfach zu wenig, aber das ist schon länger ein Problem.»

Die Regierung und das Parlament sage immer, dass im Kanton Aargau alle Flüchtenden gleich behandelt werden, fügt Schmid an. Das sei aber nicht die Realität. Deshalb fordere der Verein Netzwerk Asyl vor allem eines: «Das Zugeständnis der Gemeinden und vom Kanton. Auch wenn die Situation kompliziert und schwierig ist. Wir rücken nicht davon ab: Mensch ist Mensch, Flucht ist Flucht und alle haben den gleichen Schutz verdient.»

Den Beitrag von Radio Argovia kannst du dir hier nochmals anhören:

veröffentlicht: 16. Januar 2023 17:32
aktualisiert: 16. Januar 2023 18:09
Quelle: ArgoviaToday

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